Flammenopfer
Schornstein den Sonnenaufgang beobachtet hat und das zu mir unter die Decke gekrochen kam. Und dieses Mädchen will ich aus der Falle holen. Vorausgesetzt, sie lässt mich.«
» Bravo.« Ihre Stimme war leiser, aber nicht so leise wie vorhin.
Er stand auf, nahm den Besucherausweis, ging zur Tür und sagte: » Du kannst hier telefonieren. Also mach davon Gebrauch.«
» Ich wäre vorsichtig«, zischte sie.
» Ich habe keine Angst. Du hast Angst für zwei, Julia.« Er schloss die Tür hinter sich. Er ging über das Linoleum, und die Sohlen quietschten. Er lief schneller, mit entschlossenen, ausschreitenden Schritten, die er in dem langen Flur widerhallen hörte. Und dachte an das Häufchen Unglück da drinnen auf dem Stuhl.
» Sie haben die Zeit überzogen«, sagte der Wachschutz-Uniformierte kauend.
» Und?«
» Ich muss das vermerken.«
» Hoffentlich haben Sie es schon getan. Sie sind ja dazu verpflichtet.«
Der Mann nahm den Besucherausweis und prüfte, ob es noch der richtige war. » Wir brauchen nicht ausfallend zu werden. Ich habe Sie nur darauf hingewiesen, dass das Zeitkontingent überschritten wurde. Es gibt die Regeln, damit sie eingehalten werden. Unterschreiben Sie, das ist für diese Gegenstände.«
Sternenberg wartete, bis der Mann den Revolver mit dem Halfter aus dem Schuber genommen und ihm vorgelegt hatte, die Hand auf eines der Halfterbänder gelegt, als wolle Sternenberg sich das Ding greifen und wegrennen, ohne die Empfangsbestätigung zu unterschreiben.
Er leistete die Unterschrift, band sich das Halfter um und rückte die Waffe zurecht. Dann legte er sich das Jackett über und lächelte den Mann an: » Sie haben die Hälfte von Ihrem Spiritus auf Ihr Hemd gekleckert.«
Der Mann sah erschrocken auf sein Hemd, beinahe flutschte ihm die Pastille aus dem Mund, aber er konnte sie gerade noch mit der Unterlippe einfangen. Er hustete und war rot angelaufen. » Ausgesprochen witzig! Da ist gar nichts.«
» Ich meine ja auch auf Ihrer Hose.«
Das Spiel wiederholte sich, der Mann starrte auf seine Hose. Sternenberg ging, bevor der Mann auch noch anfangen würde, ihm leidzutun.
14
Erst als er nach einer Dreiviertelstunde in den Klosterbuschweg einbog, kam ihm der Gedanke, dass er sich hätte vergewissern sollen, ob Rolf Korbmann überhaupt zu Hause war. Sternenberg erinnerte sich, schon das letzte Mal falsch gefahren zu sein in diesem Gassenlabyrinth. Kurzer Weg, Langer Weg, Eschenwinkel, Einbahnstraße. Eckenerweg, Luftschifferweg.
Korbmann hatte ihm einmal von Zeppelinhangars erzählt, die hier in den Zwanzigerjahren gestanden hatten. Nach den Schilderungen sah sich Sternenberg als ein kleiner, die Mütze schwenkender Junge auf dem gewaltigen Flugfeld, auf dem die Seile des Luftschiffs über den Boden schleiften, bis sie in die Luft abhoben. Das Bild beschäftigte ihn. Wo genau die Hangars gewesen waren, vielleicht am Luftschifferweg, hatte ihm Korbmann zwar gesagt, aber er erinnerte sich nicht mehr.
Sternenberg parkte den Wagen an einer Straße namens Heidebergplan, ging Zwischen den Giebeln entlang und fand endlich nach einem Umweg über den Ungewitterweg sein Ziel, den Finkenkruger Weg. Die niedrigen Wohnhäuser, die sich wie kleine Mietskasernen gegenseitig stützten, ähnelten einander bis zur Gleichförmigkeit der Treppchen, der Schornsteine und der einen Meter breiten Vorgärtchen. Die Staakener Gartenstadt ist ein Teil eines Teils von einem Teil Berlins, eine Siedlung, in der sich die Arbeiter zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, zwischen den beiden Weltkriegen, mit ihren Familien wie im Paradies gefühlt haben dürften, dachte er.
Der Finkenkruger Weg war schon immer eine Idylle gewesen, solange Sternenberg sich erinnern konnte. Aus einem Gartenschlauch gurgelte wie vor zwanzig Jahren Wasser und schuf unter einer Tanne einen Teich. Eine Krähe umschritt ihn mit Interesse.
Damals war der Finkenkruger Weg nicht nur so ruhig, weil er am Stadtrand lag, sondern auch, weil auf der anderen Seite die Mauer stand. Dahinter war geharkter Sand, und zu jeder Zeit sah man mehrere Paare soldatischer und hündischer Augen. Dass es dahinter, nach einem weiteren Zaun, noch einen Knöterichpfad und einen Melonensteig gab, in denen Menschen lebten, eine andere Hälfte Staakens, konnte und wollte kaum einer der Neugeborenen im Westen wissen. Im Grunde, dachte Sternenberg, ist das so geblieben.
Rolf Korbmann lebte in der Idylle, seit er eine Lehre als Bäcker abgebrochen und das Studium der
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