Flammenopfer

Neurose, selbst wenn seine Brände harmloser wären.«
    Isabel legte die Stäbchen beiseite. » Wir gehen viel zu wenig systematisch vor. Wir müssen jeden einzelnen Brand auflisten und bei jedem einzelnen Fall die Besonderheiten miteinander vergleichen. Nur dann sehen wir, welche Muster es gibt: Harmlosere und schwere Brände, die Art der Brandbeschleuniger, die Zeiten, die Orte … Wir stochern in Vermutungen herum, so erkennen wir nie, ob ein Herr Traube mit einem Herrn Brandstifter per Brand kommuniziert!«
    Sternenberg setzte sein Glas ab. » Das stimmt. Wir arbeiten unsystematisch, bezogen auf alle Fälle. Fürs Profiling bräuchten wir alle Informationen, die Traubes Truppe besitzt. Die haben wir nicht. Unsere Übersicht wäre so oder so völlig lückenhaft. Traube müsste so arbeiten, wie du es vorschlägst, Isabel, völlig richtig. Unser Auftrag ist, ihm auf die Finger zu schauen. Außerdem hat sich der zeitliche Druck jetzt erhöht, wir müssen mit einem ordentlichen Maß Intuition arbeiten. Und Glück.«
    » Und Intelligenz«, sagte Tarek.
    » Ach ja«, feixte Isabel. » Und wer von uns repräsentiert die?«
    » Welches Motiv gäbe es noch?«, fragte Wolfgang Lichtenberg, der eine ganze Schachtel Sushi gegessen hatte und nun bei der zweiten angelangt war.
    » Das andere mögliche Motiv ist die schlechteste Variante«, sagte Sternenberg. » Sie würde bedeuten, dass Tobias Traube aus eigenem Willen oder eigenem Drang Brände mit Todesfolge legt und alles tut, um das zu verschleiern. Bei den Motiven kann ich nur spekulieren. Wir wissen zu wenig über ihn. Hegt er einen Hass auf bestimmte Personen? Es sind ja nicht nur Prominente, wie es im Fernsehen hieß. Denkt dran, dass wir eine große Zahl von Anwälten unter den Opfern haben.«
    » … die mit Immobiliengeschäften zu tun hatten«, warf Tarek ein.
    » Ja. Zum Beispiel. Andererseits – ist da der Brandanschlag auf das Kinderheim. Wahrscheinlich hat Traube auch dort etwas gefunden oder etwas hinterlassen. Was veranlasst jemanden, Kaninchen und Katzen von Kindern in Feuer aufgehen lassen? Was für ein Hass ist das? Und wie passt das mit Anschlägen auf die Wohnungen von Rechtsanwälten zusammen?«
    Lichtenberg schaute ihn auffordernd an.
    Sternenberg nahm ihm die zweite Schachtel Sushi weg und legte Stück für Stück auf seinen Teller. Von jeder Sorte eins. » Bauen wir eine Theoriekette! Zuerst die einzelnen Puzzleteile. Das hier sind Anwälte, die mit Immobilengeschäften zu tun haben.« Er zeigte auf eine Reisrolle, die außen mit orangefarbenem Kaviar bestrichen war. » Das hier ist die Tatsache, dass solche Anwälte Opfer von Brandstiftungen wurden.« Es war eine Rolle mit Avocadofüllung. » Das dritte repräsentiert die Zeichen, die Vermessungspunkte an den Tatorten. Das vierte steht für das Motiv sexueller Frustration, das mit Brandstiftungen oft, aber nicht immer, in Verbindung steht. Das fünfte ist das Kinderheim, genauer gesagt: das Gartenhaus mit den Tieren. Das sechste« – er nahm eine kleine Garnele von Isabel – » ist Isabels Entdeckung, dass Hans-Jürgen Rabein, einer der getöteten Anwälte, ebenso ohne Frau und alkoholisiert und reich war und in einer neuen Penthauswohnung lebte wie Anselm Jarczynski. Und auf seinem Bürorechner hat er Kinderpornos versteckt. Das siebente ist, gib mir mal das Stück Fisch da, das siebente ist die E-Mail-Verbindung zwischen Rabein und einem anderen Anwalt namens Bürstner; der ist vorbestraft wegen sexueller Misshandlung Minderjähriger, und bei einem Autounfall kommt er ums Leben – er ist einer von drei Anwälten, die mit der Immobilienpleite der GeGeBau befasst waren und umgekommen sind.« Er schob die Sushistücke zu einem Kreis zusammen. » Nun macht was draus!«
    » Es fehlt das Stück, das Traube darstellt«, sagte Tarek.
    » Nö«, meinte Wolfgang Lichtenberg. » Der ist das Vakuum in der Mitte dieses Kreises. Jedenfalls in der Theorie.«
    Sternenberg steckte den Zeigefinger in den Kreis der Sushis. » Von dem vielleicht schlimmsten Vakuum habe ich euch noch nicht erzählt. Wir haben gesagt, dass Hans-Jürgen Rabein zum Kinderpornoring gehörte. Und dass wir von Verbindungen zwischen ihm und anderen Anwälten wissen. Mehr als der Hauch eines Indizes ist es nicht, aber ich schließe nicht aus, dass auch Traube in diese Richtung tendiert.«
    » Wie bitte?« Isabel griff Tareks Weinglas und leerte es.
    » Nur ein Indiz. Spielen wir das durch. Unterstellen wir eine Verbindung zwischen