Flammenopfer
Jahrhundert. Das ist eine Idee von Albrecht Dürer. Die Kirche hier unten, sehen Sie, in einer entgegengesetzten, ruhigen Ecke. Der Rest ist klar parzelliert und erschließt sich auf den ersten Blick. Sehen Sie, wie das Brunnensystem die Stadt durchzieht.«
» Sieht ein bisschen aus wie ein Römerlager.«
Van Tannen war von Sternenbergs Vergleichen wenig angetan. » Das daneben ist ein Idealstadtentwurf von Francesco di Giorgio Martini. Vergleichen Sie das mit dem planlosen Herumgebaue in Berlin. Oder Hamburg. Und das ist von Vincenzo Scamozzi: Palmanova. Im Gegensatz zu den beiden vorigen Plänen wurde der realisiert. 1593, in Venetien. Wenn wir von einheitlichem, durchdachtem Bauen sprechen, dann müssen wir uns an solchen Vorbildern orientieren.«
» Tja«, sagte Sternenberg, » da werde ich mit meinem einzelnen Haus in Hamburg nicht viel korrigieren können.«
Van Tannen schmunzelte. » Ja, es ist zu spät. Die Städte sind verloren.«
» Ich halte Sie auf! Haben Sie Dank für die Zeit, die Sie geopfert haben. Auf Ihren Vorschlag komme ich zurück. Mit dem Gutachten, meine ich. Wenn es Ihnen passt.«
Van Tannen begleitete ihn zur Tür. » Ich bin kein offizieller Gutachter. Dafür wird es billiger.«
» Na, das passt mir … Es tut mir wirklich leid, dass die Polizei Sie jetzt schon privat belästigt, die falschen Verdächtigungen damals müssen schon unangenehm genug gewesen sein. Eine schreckliche Idee von mir, gerade Sie anzusprechen. Vielleicht dachte ich, ein Auftrag würde die Sache ein bisschen wiedergutmachen. Das Gespräch war sehr interessant. Hatten Sie mit meinem Kollegen, Dr. Traube, direkt zu tun?«
» Ich habe mit ihm gesprochen«, sagte van Tannen. » Am Telefon. Soweit ich weiß. Ja, nur am Telefon. Die Verdächtigung damals hat mich viele Auftraggeber gekostet. Die Menschen springen sehr schnell ab, wenn sie Geld in Sie investiert haben und Ihnen vertrauen sollen. Beim geringfügigsten Verdacht sind Sie sie los, sogar Ihre Freunde. Es gibt niemanden, der an Ihren Ideen und Idealen festhält, wenn der Verdacht des Verbrechens an Ihnen haftet. Zum Glück hatte ich eine gute Anwältin, die Frau, bei der ich den Brand gelegt haben soll.«
» Das Schicksal ist manchmal sehr ironisch«, sagte Sternenberg.
» An Schicksal glaube ich nicht. Ganz und gar nicht. Es kommt nur auf das an, was wir tun und was wir können. Frau Severus ist einfach eine couragierte und fähige Frau.«
Kai Sternenberg gab dem Architekten die Hand, bedankte sich für das Wasser und die Anregungen, flocht noch einmal die Peinlichkeit des Ganzen ein und wünschte einen guten Tag.
Der Fahrstuhl aus Glas drang durch die Etagen, und Sternenberg hatte das Gefühl, keinen Schritt vorangekommen zu sein. Baumafia. Pornoring. Er war zu vorsichtig vorgegangen. Wenn es denn überhaupt einen Grund gab, irgendwie vorzugehen.
Sternenberg setzte sich in ein Café am Kollwitzplatz. Die Marktstände wurden abgebaut. Er bestellte einen Kaffee nach dem anderen, tauschte Blicke mit einer Frau, die von ihrem Gesprächspartner gelangweilt war, und kaufte einem fliegenden Händler eine Zeitung ab. Es waren die üblichen Themen, und ihm fehlte der Wille, sich mit dem immer Gleichen zu befassen.
Es kommt nur darauf an, was wir tun und was wir können.
Auf dem Handy war eine SMS von Tarek aufgelaufen: » Darf Graus Geständnis nicht einsehen. Gespräch mit ihr ergibt nix. Störrisch + hübsch.«
Sternenberg sah zu der Frau hinüber, schenkte ihr seinen ganzen restlichen Charme und zahlte.
22
Er wollte ganz sicher sein. Dem Mosaik einen letzten Stein hinzufügen. Den entscheidenden Stein. Der darüber entscheidet, ob aus dem Mosaik ein Bild entsteht, ein untrügliches Bild, ein strahlendes, eindeutiges Bild, auf das Verlass ist.
Tobias Traube stand mit dem Rücken an der Wand. Angespannt lauschte er, ob aus den Nebenräumen ein Geräusch kam. So angespannt, als gäbe es in seinem Ohr einen Muskel dafür.
Dort war es still. Die Wand, an der er lehnte, war rußig. Auf der schwarzen Jacke würde man das nicht gleich sehen. Holzgerippe lagen herum. Sie waren die Reste von Tischen und Schränken und Stehpulten, wie sie in jedem Büro stehen. Die Fensterscheiben waren durch die große Hitze geborsten.
In den Ecken des Raumes sah er Pfützen mit Löschwasser, und über dem Durchgang zum Nachbarbüro tropfte es von oben. Tobias Traube bewegte sich Schritt für Schritt zu den Glassplittern. Er prüfte mit Blick zum Durchgang, ob jemand ihn von
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