Flammenopfer
gegeben hat. Zwischen euch beiden. Das ist etwas, das erwachsene Menschen unter sich ausmachen. Wir können darüber sprechen, aber dann sehe ich mich nicht in meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied. Für mich ist diese Sache geklärt, nachdem Monika vorhin gesagt hat, sie nähme den Vorwurf der Tätlichkeit zurück.«
» Wie gütig«, sagte Sternenberg.
Jochen fuhr fort. » Was für den Vorstand zählt, ist die Anzeige einer Mitarbeiterin der Telefonseelsorge gegen einen Kollegen. Noch dazu wegen unterlassener Hilfeleistung. Das entfaltet eine fatale Außenwirkung.«
» Nicht nur das«, sagte Sigurd. » Die Außenwirkung möchte ich heute beiseitelassen.«
» Ich nicht«, sagte Jochen.
» Gut«, sagte Sigurd, » aber für mich ist entscheidend, dass zwei Mitarbeiter – beziehungsweise eine Mitarbeiter in und ein Mitarbeit er …« – Manuela verdrehte die Augen –, » dass die eine Anzeige gegen den anderen erstattet hat. Eine Strafanzeige. So was geht nicht. Das ist eine Art von Konflikt unter uns, die ich nicht akzeptabel finde.«
» Rechtlich ist das kaum zu beanstanden«, erklärte Jochen. » Wenn es sich um eine Unterlassung handelt, die Menschenleben gefährdet, darf sie zur Anzeige gebracht werden. Im Grunde muss sie das sogar. Wir sind hier durch keine Regelung von den Gesetzen ausgenommen. Die Schweigepflicht bedeutet nicht, dass wir juristische Freiräume genießen.«
Manuela legte einen mitleidigen Tonfall gegenüber Jochen auf. » Schön, dass du uns das erklärt hast. Liebe Leute, es geht hier um was anderes. Wir reden über einen ausgewachsenen Streit zwischen den beiden, um einen Konflikt. Und da war eben Monikas Anzeige ein Eskalationsmerkmal. Ohne die vorangegangene Auseinandersetzung hätte sie Kai nicht angezeigt. Oder?«
Jochen schüttelte den Kopf: » Anzeige hast du erst später erstattet, oder, Monika? Sie war eben nicht Teil des Streites.«
Sigurd ging dazwischen. » Halt mal! Seit einer Stunde reden wir über Monikas Befinden. Das ist gut und richtig und wichtig. Wir sollten aber Kai mal zu Wort kommen lassen. Ich wüsste gern, wie das Telefonat aus seiner Sicht abgelaufen ist. Kai, wäre das in Ordnung für dich?«
» Warum nicht?«
» Dann bitte, wie ist es aus deiner Sicht gewesen?«
Sternenberg räusperte sich. Die Augen waren auf ihn gerichtet. » Danke. Das Erste ist, dass ich das Gespräch allein geführt habe. Monika hat nicht mitgehört. Alles, was sie darüber sagt, hat sie von mir erzählt bekommen. Das vorausgeschickt. Zum Zweiten: Monika ist Psychologin. Als wir mein Telefonat reflektierten, kam sie zu dem Ergebnis, die Anruferin wäre paranoid schizophren. Ich habe gesagt, ich könne das nicht beurteilen. Es sei nicht unsere Aufgabe, am Ende eines Telefonates eine Diagnose zu stellen. Das unterscheidet unsere Arbeit von Gesprächen bei einem Arzt oder einem Psychologen. Aber ich halte fest: Monika hat der Anruferin eine Psychose diagnostiziert. Kann also sein, dass das, was die Anruferin gesagt und gefühlt hat, Unsinn war. Ich habe Monika so verstanden: Sie glaubt, die Frau hätte mich um Hilfe gerufen. Monika nimmt an, dass die Anrede › Wachtmeister‹ darauf hindeutet, dass sie mit der Polizei sprechen wollte. Und die Themen Blut und Fleisch und Amputation würden beweisen, dass sie verblutete oder so was. Dann hat sie gehört, dass ich der Polizist bin, von dem sie schon gerüchteweise wusste. Sie glaubt nicht, dass ein Polizist bei der Telefonseelsorge gute Arbeit leisten könnte.«
Manuela lächelte.
» Unser Gespräch über das Telefonat wurde damals durch einen neuen Anruf unterbrochen«, sagte Kai Sternenberg weiter. » Sonst hätten wir einige Missverständnisse vielleicht geklärt. Zum Beispiel, dass die Anruferin mich auch als › Herr Doktor‹ angeredet hat. Das deutet darauf hin, dass sie mich eben nicht wirklich als Polizist identifiziert hat. Woher sollte sie das auch wissen? Sie hat mich als Phantasiegesprächspartner benutzt. Das kennen wir doch.«
Er sah in die Gesichter von Sigurd und Jochen, und er fand sie leer und ohne Zustimmung. » Also, kommt, ihr habt solche Telefonate auch schon gehabt. Menschen, die uns in ihre Wahnvorstellungen einbeziehen, die eine Vermischung des echten Gesprächspartners mit imaginierten Rollen praktizieren. Nein? Erinnert ihr euch nicht?«
» An hunderte«, sagte Manuela ernst und schaute strafend zu den beiden Vorstandsmännern hinüber. » Natürlich haben wir solche Anrufe auch gehabt.«
Sternenberg
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