Flammenopfer
nickte. » Selbst wenn die Frau in ihren Wahnvorstellungen Hilfe brauchte, ich meine: mehr als psychologische Hilfe, etwa weil sie blutete, dann wissen wir alle, dass sie nicht die Nummer der Telefonseelsorge gewählt hätte. Es ist viel einfacher, die 112 zu wählen. Sie hat sich nicht verwählt. Sie wollte uns.«
Monika war rot angelaufen, und es brach aus ihr heraus. » Du hast selbst zugegeben, dass man eigentlich die Polizei hinschicken müsste und dass die Polizei eine verwahrloste Frau finden würde. Und du hast gesagt, dass die Polizei trotzdem nichts macht, und dass es sich nicht lohnt.«
» Das habe ich sicherlich nicht gesagt. Mir ist das zu blöd, mir von einer Frau, die unfähig ist, Lügen anzuhören!«
Sigurd erhob warnend die Hand.
Sternenberg versuchte, sich zu konzentrieren. » Diese Anzeige schüchtert mich nicht ein. Ich erwarte vom Vorstand, dass er fair ist und Dinge, die bisher Konsens waren, nicht plötzlich umschmeißt. Wenn ihr aber meint, ihr könnt auf mich verzichten, dann sagt das klipp und klar. Ich kann in dieser Sache keinen Fehler erkennen. Erinnert euch mal an eure aktive Zeit am Telefon! An die vielen Typen, die in ihrer eigenen Welt leben. Menschen, die eine Lebenswirklichkeit haben, die wir in einem einzelnen Telefonat gar nicht erfassen. Wir fahren doch nicht zu jedem Spinner raus, um nachzugucken und ihn zu überprüfen. Was würden wir finden? Abgesehen davon, dass die uns nie ihre Telefonnummer geben – was wäre gewonnen? Was ist mit all den Menschen, die von Selbstmord sprechen? Die Distanz ist die Basis unserer Arbeit. Wir sind doch die Einzigen, die nicht gleich hinrennen und sie anflehen, am Leben zu bleiben und bitte schön nie mehr darüber zu sprechen. Wir sind die Einzigen, die für sie und mit ihnen den Gedanken an den Suizid ertragen. Die sich ein Stück in ihre Welt hineindenken. Und die ihnen helfen, weil sie sich eben nicht von ihrer eingeengten Welt gefangennehmen lassen. Ich habe nicht so viele Gespräche gehabt wie Manuela oder Sigurd. In siebzehn Jahren werden es vielleicht viertausend Telefonate gewesen sein. Davon waren mindestens – na ja, zweihundert, in einer bizarren Umgebung angesiedelt. Die eine hält mich mitten im Gespräch für ihre Mutter und betet mit mir, die andere glaubt, dass ich sie vergewaltigen will, jemand erzählt mir, welche Kirchen er in die Luft gesprengt hat – und sie stehen alle noch … Ihr kennt das doch! Rechnet das mal auf die ganze Stadt hoch, wenn nur ein kleiner Teil von ihnen bei uns anruft. Die Stadt ist voll von ihnen. Nur wir bekommen ab und zu einen kurzen Blick in sie hinein. Und da soll ich als Wachtmeister und zugleich als Doktor die Polizei anrufen und einen Streifenwagen hinschicken?«
Monika stöhnte.
Manuela grinste Sigurd an, der unentschlossen wirkte.
Das Handy klingelte.
» Kai. Wir hatten Handyverbot vereinbart«, maulte Sigurd.
» Ich habe es nur für Anrufe der roten Liste eingeschaltet«, sagte Sternenberg. » Und da drauf stehen nur meine Töchter – «, das Handy war unglücklich in der Jackentasche verkeilt – » und meine Wache. – Ja?«
24
Beate Rixdorf neigte sich zu ihm und fragte, ohne ihren Blick von den Journalisten abzuwenden, ob er aufgeregt sei.
» Es geht«, flüsterte er. Während ihre Köpfe sich nahe waren, blitzte es mehrfach. Die kennen mich gar nicht, dachte Sternenberg. Trotzdem halten sie erst mal drauf.
Die Pressekonferenz wurde eröffnet. Handys spielten verrückt. Kameras mit roten Dioden wurden geschwenkt. Das Nest aus Mikrofonen, das auf dem Tisch vor Beate Rixdorfs Platz aufgebaut war, wurde laufend durch weitere Mikrofone und Diktiergeräte und Handys verdichtet.
» Meine Damen und Herren«, sagte sie, » der heutige Termin hat einen traurigen Anlass. Ein Mitarbeiter der Berliner Kriminalpolizei ist heute Morgen bei seinen Ermittlungen tödlich verunglückt. Es handelt sich dabei um den Kriminalhauptkommissar Dr. Tobias Traube. Herr Traube ist 1959 in Münster geboren. Er promovierte in Strafrecht und ging nach einer kurzen Zeit als Anwalt in den Polizeidienst des Landes Berlin. Er hinterlässt keine Kinder, seine Eltern leben in Münster. Dr. Traube war ein erfolgreicher Beamter. Wie Sie wissen, war er zuletzt mit den Ermittlungen von Brandstiftungen betraut, und hier hat er die Behörden erheblich vorangebracht.«
Sternenberg sah am Rande des Raumes Petra stehen. So weit weg, dachte er. Warum tut sie sich das überhaupt an?
Beate Rixdorf schlug die
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