Flammenpferd
Pferdeanhänger geschleppt hatte. Halstabletten. Hustensaft. Pillen für Herz und Kreislauf. Durch das anstrengende Graben und die hastige und überstürzte Schlepperei danach – angetrieben von der Angst, von Hella oder Swantje oder einem der Männer entdeckt zu werden – war sie ins Schwitzen geraten. Das hatte die beginnende Erkältung angeheizt. Wie sollte ein Mädchen bei den fröstelnden Nächten auf dem Heuboden gesund bleiben? Und zum Trinken nichts als eiskaltes Wasser! Sie sehnte sich nach einem Becher dampfend heißen Tee.
Am liebsten hätte sie sich in der Kirche verkrochen. In Gedanken betrat sie das Münster durch den Seiteneingang, machte sich im Stillen wie bei ihrem ersten Besuch über dessen Namen – die Hochzeitstür – lustig, auf das ein Schild auf der grün bemoosten Außenmauer hinwies, und holte sich die Wärme aus dem vom Sonnenlicht durchfluteten Kirchenschiff. Sie mochte nicht daran denken, dass es an diesem Regennachmittag auch dort drinnen düster und kühl wäre. Was sie von der Flucht ins Trockene abhielt, war die Besuchergruppe, die sich anschickte, schwatzend durch das Kirchenschiff zu pilgern und dabei nicht die kleinste Nische auszulassen. Kati wollte sich nicht begaffen lassen wie eine ausgesetzte nasse Kätzin. Beim letzten Mal wäre sie beinahe dem Küster in die Arme gelaufen. An ihre zarte Hoffnung, er könnte sie für eine Schulschwänzerin aus der benachbarten Schule halten, hatte sie selbst nicht glauben können und sich schnellstens aus dem Staub gemacht.
Sie pulte eine Halstablette aus der Folie und schob die Schachtel griffbereit in die Jackentasche. Fröstelnd schnäuzte sie in eins der letzten Papiertaschentücher. Davon brauchte sie dringend Nachschub und würde dafür ihre letzten Euro angreifen müssen. Die Familienpackung Taschentücher ließ sich so umständlich klauen. Ihr war so kalt! Nur oben herum war sie halbwegs trocken geblieben. Die zeltartige Wachsjacke aus Nellis Beständen hielt dicht. Nur war ihr der Regen in den Nacken getropft und hatte das Sweatshirt am Kragen durchnässt. Die Beine der Jeans besaßen keine trockene Faser mehr. Das Regenwasser war an der Jacke herab geflossen, und der Stoff klebte kalt und schwer an den Oberschenkeln. Hoch über ihr erklang aus einem der Münstertürme das Glockenläuten. Tief und dröhnend hallte es von den Mauern wieder. Als hätte der Regen nur auf ein Zeichen gewartet, glättete sich der aufgewühlte Spiegel der Pfütze, die sich bis zum Brunnen erstreckte. Über den Dächern der Altstadt rissen die schwarzen Wolken auf und gaben die Sonne frei. Die kleine steinerne Brunnenfigur schmückte sich mit den ersten Sonnenstrahlen. Die Menschen klappten die Schirme zusammen und blickten erleichtert in den Himmel hinauf.
Kati wartete eine Weile, bis sie sicher war, dass der Regen wirklich aufgehört hatte, und schulterte den Rucksack. Sie sah nicht auf, als sie verfroren aus der Nische heraus trat, und das war ihr Fehler. Beinahe wäre sie mit einem Paar zusammen geprallt. Beide bemerkten sie im selben Augenblick, und Kati sah sich zwischen Swantje und dem blonden Jan und der Mauer in ihrem Rücken in die Zange genommen. Swantje trug einen babyblauen Wollblazer. Der Stoff war trocken. Auch auf Jans brauner Lederjacke war von Regentropfen nichts zu bemerken. Wahrscheinlich, ging es Kati durch den Kopf, haben sie im Münsterkirchhof geparkt und den Schauer im Jeep abgewartet.
„So ein Zufall. Das trifft sich gut“, gurrte Swantje. „Jan, das ist dieses Mädchen, von dem ich dir erzählt habe. Das ist Kati!“
Kati fühlte sich dem Blick seiner wasserblauen Augen ausgeliefert. Er selbst war auf dem Sprung wie ein Tiger und hatte die drahtigen Arme leicht vom Körper abgespreizt. Die Pranken waren bereit zum blitzschnellen Zupacken, falls sie sich an ihm vorbei drücken wollte.
„Hast du uns nichts zu sagen, Kati?“, säuselte Swantje.
Jan griente verschlagen. Ein junger Mann, ein sportlicher Typ, schlenderte wenige Schritte entfernt auf die Schule zu und linste neugierig herüber. Er war hinter dem Schultor verschwunden, bevor Kati Mut fassen und um Hilfe rufen konnte.
„Was wollt ihr von mir?“, fragte sie trotzig.
Swantje baute sich vor ihr auf. „Wir hatten eine Abmachung. Hast du die Ware gefunden?“
Kati zuckte zusammen. Wusste sie von dem Versteck im Anhänger? In dem Fall würde sie kaum danach fragen. „Wie kommst du darauf?“
„Hast du überhaupt gesucht?“
Kati schwieg.
Jan
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