Flammenpferd
beobachtete ein älteres Paar und wartete, bis es – Arm in Arm – vorüber spaziert war, bevor er Swantje zornig anfuhr: „Dass du das Gör überhaupt eingeweiht hast! So ein Schwachsinn! Diese Hella hat sie doch vom Hof gejagt.“
„Ach was!“, zischte Swantje. „Sie treibt sich immer noch dort rum und hat genug Gelegenheiten, sich für uns umzusehen.“
„Was hätte ich jetzt noch davon?“, fragte Kati aufsässig. „Dein Versprechen wegen Fadista hast du nicht gehalten!“
„Fadista kannst du vergessen! Ich verpfeife dich an die Polizei und erzähle von deiner Kokelei an den Heuballen, wenn du nicht spurst.“
„Das war ich nicht“, log Kati verzweifelt.
Ein Mann kam schlurfend heran. Er war ebenso schwerfällig und korpulent wie der graue Rauhaardackel, den er an der Leine führte.
Swantje senkte die Stimme. „Es ist ganz egal, ob du’s warst oder nicht. Man wird es dir so oder so anhängen.“
Jan sah sich nach dem Mann mit dem Dackel um, und Kati nutzte die Chance und sauste los. Jan erwischte gerade noch den Jackensaum. Bevor Kati aus der Jacke schlüpfen konnte, hatte er ihren Arm gepackt und umklammerte ihn mit eisernem Griff. Er fluchte, weil er mit seinem Stiefel in der Pfütze gelandet war. Seine Kleider stanken nach kaltem Rauch, und sie nieste ihm ins Gesicht. Er schüttelte sie wie einen störrischen Welpen.
Der Mann war stehen geblieben. Beunruhigt und ein wenig ratlos beobachtete er das Gerangel und kümmerte sich nicht um den Hund, der stur in die entgegen gesetzte Richtung zog. Den widerspenstigen Dackel im Schlepptau, kam er langsam heran.
„Helfen Sie mir!“, bettelte Kati und versuchte, sich loszureißen. „Die wollen mich entführen.“
Swantje tat bestürzt. „Rede nicht so einen Unsinn, Kati.“
Es fehlte nicht viel, und sie wäre in Tränen ausgebrochen. Sie wandte sich dem Dackelbesitzer zu. „Meine kleine Schwester! Ich bin so froh, dass wir sie endlich gefunden haben und mit nach Hause nehmen können.“
„Das ist nicht wahr!“, brüllte Kati. „Das ist nicht meine Schwester!“
„Was soll das hier?“, fragte der Mann misstrauisch. „Lassen Sie das Mädchen los!“
Jan schnaufte wütend, und Kati nutzte seine Irritation und trat ihm gegen die Beine. Nebenbei schlug sie mit den Fäusten auf ihn ein. Er lockerte seinen Griff, und bevor er nachfassen konnte, hatte sie sich heraus gewunden. Hastig griff er von neuem zu, packte sie an den Haaren und erwischte mit der anderen Hand die Jackentasche. Als der Stoff ratschend aufriss, fiel die Schachtel Halstabletten heraus. Swantje stürzte sich darauf wie ein Falke auf ein Kaninchen. Sie hob die Tabletten auf.
„Das ist eine Familienangelegenheit!“, kreischte sie dem Mann entgegen. „Hauen Sie endlich ab!“
Der Dackel bellte entrüstet und warf sich angriffslustig in die Leine. Das wurde seinem Herrn zu viel. Er entfernte sich mit schweren Schritten.
Swantje fuchtelte mit der Schachtel vor Jan herum, der alle Mühe mit der zappelnden und tretenden Kati hatte. „Jan, sie hat die Ware gefunden. Sieh doch nur! Da ist unser Code aufgedruckt. Die Nummer kenne ich auswendig. Das kann kein Zufall sein!“
Endlich gelang es Kati, sich loszureißen. Sie rannte auf das Schultor zu und bog knapp davor in den kleinen Kirchgarten ab. Sie schlug einen Bogen um eines der Beete, widerstand dem unsinnigen Drang, in dem darin wuchernden Grünzeug Schutz zu suchen, und flitzte auf die Türöffnung in der Mauer zu. Das Tor aus senkrechten Gitterstäben stand weit offen. Sie rannte um ihr Leben, behindert durch den Rucksack, den sie erst in letzter Sekunde opfern wollte. Sie war eine gute Läuferin, aber Jan folgte ihr unerwartet schnell. Sie floh vor seinen hastenden Schritten und den Atemstößen in ihrem Nacken, als sie die Stufen zur Straße hinauf mit einem Satz nahm.
Dann hörte sie nur noch das Kreischen der Bremsen.
32
Die bleigrauen Regenwolken, unter denen Hella auf das leere Hundegrab gestoßen war, hatten über viele Stunden Kraft sammeln können, um sich höher und höher aufzutürmen und entluden sich am folgenden Tag über dem Hameltal und den Straßen der Stadt, gerade zu der frühen Nachmittagstunde, als Hella auf dem Weg in die Altstadt war. Sie hatte sich für das Cabrio entschieden, um den Wagen noch einmal zu genießen, bevor sie ihn hoffentlich Swantje übergeben durfte. Die Scheibenwischer arbeiteten ebenso unermüdlich wie wirkungslos gegen die Wassermassen an. Hella ließ den
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