Flammenpferd
für ihren adretten Freund zurückholen. Steckte Julian mit ihr unter einer Decke? Der Zorn begann sich wieder zu rühren.
Fadista hatte sich auf eine Armlänge heran getraut und schnaubte argwöhnisch.
„Was meinst du?“, fragte Hella. „Soll ich ihm auf den Kopf zu sagen, dass ich Bescheid weißt? Oder besser weiterhin den Trottel spielen und abwarten, was er als nächstes plant?“
Fadistas Antwort war ein weiteres Schnauben. Er streckte die Nase in Hellas Richtung aus. Sein Maul näherte sich ihrem Gesicht, und die Nüstern blähten sich. Sie dachte an die langen gelben Zähnen hinter den dunklen Lippen, die entspannt und weich aufeinander lagen, und schielte zu seinen Ohren, die freundlich aufgerichtet blieben, und rührte sich nicht. Ein Orakel, dachte sie. Wenn gleich die Nase ab ist, stelle ich Julian zur Rede – sofern ich noch sprechen kann. Beißt er nicht zu, warte ich ab. Fadistas borstige Oberlippe kratzte über ihre Wange. Dann blies er ihr den Atem ins Haar, wandte den schweren Hals ab und schritt wie ein König davon.
Sie fror. Das Graben hatte sie ins Schwitzen gebracht, und nun war ihr kalt geworden. An ihren Händen klebte Lehm. Sie wollte ins Haus gehen, sich die Hände waschen und ein wenig aufwärmen. Und Nachdenken. Doch dazu kam sie nicht.
Vor dem Treppenaufgang parkte der schwarze Daimler. Julian, der an der Fahrertür lehnte, stieß sich mit den Händen vom Blech ab und trat ihr entgegen. Die katzenhafte Art, mit der er sich bewegte, blieb ihr trotz des strengen schwarzen Anzugs nicht verborgen.
Sie wappnete sich; erinnerte sich an den eben gefassten Vorsatz, stillzuhalten und ihm ihre Erkenntnisse nicht ins Gesicht zu schreien. Verräter, dachte sie zornig. Warte nur ab, so ein falsches Lächeln habe ich auch drauf.
Er fragte höflich, wie ihr ginge.
„Gut! Warum auch nicht?“, entgegnete sie knapp.
Er deutete lächelnd auf die eigene Stirn. „Deswegen, meine ich. Oder denkst du nicht daran?“
„Nicht mehr, seit ich mich heute morgen vor meinem Spiegelbild erschrocken habe.“
Ihr kühler Ton schien ihn zu irritieren. „Aber an unsere Verabredung für heute Abend denkst du schon? Wir wollten essen gehen.“
Um sie mit seinem wohlwollenden Getue weiterhin um den Finger zu wickeln? Zum Glück besaß sie eine perfekte Ausrede. Sie lächelte honigsüß. „Oh! Tut mir Leid. Heute Abend ist der Vortrag in Hannover. Sten Johansen holt mich nachher ab.“
„Dieser Pferdearzt?“
In seinem betroffenen Blick hielten sich Enttäuschung und Verärgerung die Waage.
„Ich habe zu tun“, sagte sie eisig.
Er schaute auf seine Armbanduhr. „Ich auch! Hast du etwas herausgefunden? Wegen der Medikamente, meine ich.“
Sie schüttelte den Kopf. „Keine Spur!“
„Hella, wenn du deswegen Sorgen hast ...“
„Du solltest jetzt gehen!“
Er wirkte überrascht. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab. Sie wartete, bis der Daimler davon gefahren war. Dann stieg sie langsam die Treppe zum Haus empor. Warum musste es zwischen zwei Menschen, die sich zu mögen schienen, immer so kompliziert zugehen.
31
Es goss in Strömen. Der Regen prasselte ohne Unterlass vom Himmel herab und schlug muntere Trichter in die breite Pfütze vor Katis Füssen. Kalt und abweisend drückten ihr die Mauersteine in den Rücken, als sie sich Schutz suchend tiefer in die Fensternische verkroch. Sie schniefte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. Sie fühlte sich elend, und das abscheuliche Wetter machte es nicht besser. Die Nase lief, und der Hals kratzte und war wie zugeschnürt. Dazu kamen diese pochenden Kopfschmerzen. Sie ließ sich in die Hocke nieder und zog den Rucksack heran. Er war nicht schwer, obwohl ihr liebster Besitz darin steckte. Nur das weniger Wichtige hatte sie in der Scheune deponiert. Von den beiden Flaschen trennte sie sich nie. Was für den Heuballen drauf gegangen war, hatte sie mit einem Kanister aus einer offen stehenden Garage auffüllen können. Eine ältere Frau hastete, tief unter ihren Schirm gebeugt, an der grau-grünen Wand aus Sandsteinquadern vorbei und warf einen mitleidigen Blick auf Kati, die, während sie im Rucksack wühlte, heftig niesen musste. Die Frau verlangsamte ihr Tempo und zögerte kurz, als wollte sie etwas sagen, eilte dann aber kopfschüttelnd weiter. Kati hatte sie kaum beachtet. Endlich fand sie eines der Päckchen mit den Medikamenten, mit denen sie sich in der Nacht versorgen konnte, als sie die Kartons in Hellas alten
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