Flammenpferd
seinem Glück hinter dem Zaun. Sonst hätten die Pferde vielleicht nichts von ihm übrig gelassen. Er wurzelte tiefer, als sie erwartet hatte. Es kostete sie einige Mühe, bis der Wurzelballen frei gelegt war. Sie schaufelte das Loch zu und trug den jungen Baum am Stamm zu der Baumgruppe, unter der Blitz begraben lag. Schon von weitem fiel ihr auf, dass etwas nicht stimmte. Es lag mehr lose Erde im Gras verstreut, als sie in Erinnerung hatte, und der Stein hatte auf der anderen Seite gelegen; da war sie ganz sicher. Was sie außerdem verwunderte: konnte sich die Erde auf dem Grab in so kurzer Zeit um eine Handbreit gesetzt haben? Der Gedanke, der sich aufdrängte, war so unglaublich, dass sie sich sträubte, ihn zu Ende zu führen. Stattdessen rollte sie den Stein zur Seite und begann zu graben. Julian hatte das Loch tief angelegt, damit es vor Wildschweinen, die sich bisweilen ins Tal verirrten, ebenso sicher war wie vor Füchsen und streunenden Hunden. Aber tiefer, wie sie nun grub, hatte Blitz bestimmt nicht gelegen. Als sie auf festen Boden stieß, ließ sich die Tatsache nicht länger verleugnen: der Hund war fort! Wer um Himmels Willen grub einen toten Hund aus? Gab es Satanisten in Hameln oder andere perverse Leute, die seinen toten Körper für unheimliche okkulte Zwecke missbrauchten?
Hätte sie das Handy dabei gehabt, sie hätte im ersten Schock sofort Jette angerufen. Oder Julian. Der kannte sich schließlich mit exotischen Beerdigungsriten aus. Ob er eine Erklärung dafür hätte? Aber das Handy lag in ihrem Büro, und während sie zum Hof zurück lief, stellte sich die Vernunft wieder ein. Jette wollte in drei Tagen fliegen. Es wäre nicht fair, der Freundin mit dieser grausigen Geschichte den Urlaub zu vermiesen. Und was Julian betraf ... Hella ging langsamer. Was wusste sie über ihn, außer dass er sich seit vielen Jahren mit makaberen Sitten über das Ein- und Ausgraben von Verstorbenen befasste? Hatte er sich diese Gewohnheit zu Eigen gemacht? Er war außer ihr selbst der Einzige, der die genaue Lage von Blitz’ Grab kannte. Hatte Julian den Hund ausgegraben? Allein der Gedanke daran war widerwärtig. Aber eine andere Erklärung fand sie nicht.
Womöglich hatte er sich in eine weitere Angelegenheit eingemischt! Das letzte Stück zu den Schuppen rannte sie. Ein Blick durch das Fensterloch bestätigte ihre Befürchtungen. Sie wusste genau, dass sie den kaputten Stuhl mit der Rückenlehne zur Tür auf den Krempel gesetzt hatte. Jetzt lag er zwar oben auf, neigte sich aber zur Seite. Sie stellte den Spaten ab und räumte eilig die Falltür frei. Sie tastete nach dem Lichtschalter im Türrahmen und stieg im hellen Neonlicht die Leiter hinab. Was sie unten erwartete, war keine Überraschung mehr. Die Kartons waren fort. Abgeräumt bis auf den letzten Pappefetzen, und nur die leeren Holzpaletten waren übrig geblieben.
Julian – ein Verräter. Und sie hatte sich einiges auf ihre Menschenkenntnis eingebildet! Was ihn betraf, war sie von allen ihren Instinkten im Stich gelassen worden. Wieso war ihr sein Drängen, zuerst die Schuppen und später den Gewölbekeller zu durchsuchen, nicht gleich verdächtig erschienen? Sie hatte sich von seiner Liebenswürdigkeit einlullen lassen. Voller Zorn über so viel Dämlichkeit trat sie mit aller Kraft gegen eine Palette, die scheppernd über den Betonboden rutschte. Sie hatte sich wie eine Idiotin verhalten, war wie ein kleines Mädchen auf seinen Dackelblick herein gefallen.
Der wuchtige Tritt dämpfte ihre Wut ein wenig. Dafür wuchs die Enttäuschung umso mehr. Sie stieg die Treppe hinauf, schaltete das Licht aus und schloss die Falltür. Die Mühe, den Eingang zu verstecken, sparte sie sich. Nachdenklich verließ sie den Schuppen und ging zu den Paddocks hinüber, die leer standen bis auf Fadistas Abteilung. Jackson, Zamira und Melody waren bei den anderen Pferden in den Ausläufen. Fadista verfolgte aufmerksam jeden ihrer Schritte, bis sie am Zaun stehen blieb und sich, wie so oft, auf die obere Stange lehnte. Sie meinte, ihm den Zwiespalt der Gefühle anzusehen. Er suchte Gesellschaft und wollte zu ihr kommen, traute aber seinem eigenen Wunsch nicht. Sie blieb stehen und dachte, während Fadista zaudernd einen Huf vor den anderen setzte, darüber nach, wie sie sich am geschicktesten verhalten sollte. Bisher war ihr Tun in Sachen Julian von Blindheit geleitet gewesen. Mal angenommen, die Frau im Transporter war tatsächlich Swantje, und sie wollte die Ware
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