Flammenzorn
zu und verließ das Souterrain des Detroit Fire Department. Wie viele Gebäude in der Innenstadt war auch dieses während des Baubooms der 20er-Jahre entstanden. Die oberen Stockwerke waren zumindest renoviert worden, das Souterrain hatte man jedoch vergessen. Schwarze und weiße Fliesen bildeten noch immer ein Schachbrettmuster auf dem Boden. An der Tür winkte Anya kurz dem Wachmann zu, und das Geräusch ihrer Schritte hallte von den gewölbten Decken wider.
Ihren Wagen hatte sie auf der anderen Straßenseite vor der Cobo Hall abgestellt, einem Betonkasten mit vielen rechten Winkeln, der einen scharfen Kontrast zu den Torbögen und Mauerziegeln des Feuerwehrhauptquartiers bildete. Von jeher schien es eine gewisse Spannung zwischen dem alten und dem neuen Teil der Innenstadt zu geben: Das Ren Cen, ein Turm aus Glas und Stahl, passte architektonisch nicht zu den im italienischen Art-déco-Stil gehaltenen, kleineren Gebäuden aus den Zwanzigern. Bei einigen neueren Bauten, wie dem Comerica Park, in dem die Detroit Tigers spielten, hatte man sich um ein Erscheinungsbild bemüht, das sich in die vorhandene Architektur einfügte. Dennoch hatte Anya stets den Eindruck, die Vergangenheit herrsche hier über die jüngeren Zeitabschnitte.
Das Polizeihauptquartier bildete keine Ausnahme. Es lag nur wenige Häuserblocks südlich von Greektown. Niedrige Ziegelgebäude mit Läden und Restaurants mit bunten Markisen wichen vor dem herrschaftlichen, grauen Art-Nouveau-Gebäude zurück. Anya fand einen freien Parkplatz, und bald darauf stieg sie die wenigen Stufen zum umwölbten Eingang hinauf. Dekorative Eisengitter vor den unteren Fenstern warfen ein geometrisches Muster aus Schatten auf den gefliesten Boden. Sie drückte auf den Fahrstuhlknopf und wartete.
Die Geschichte des forensischen Labors von Detroit war schwierig. Nach einer Reihe falscher Ergebnisse, die zu Wiederaufnahmeverfahren geführt hatten, war das Labor geschlossen worden. Erst vor Kurzem wurde es wieder geöffnet, weil das kriminaltechnische Labor der Staatspolizei nicht den gewaltigen Rückstand aufholen konnte, der in den letzten Jahren entstanden war. Das ganze Department war umstrukturiert und neu gestaltet worden. Man hatte mit der umfangreichen Unterstützung des Bundes quasi aus dem Nichts wieder ganz neu angefangen. Doch obwohl die Zulassung nun wieder in Kraft war, so würde es doch viele Jahre dauern, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen.
Hinter der hübschen Außenfassade des Gebäudes summten die Errungenschaften der modernen Kriminaltechnologie. Die Fahrstuhltür öffnete sich vor einem Raum mit abgehängter Decke und fluoreszierender Beleuchtung - die zentrale Erfassungsstelle. Gelb lackierte Stahlschränke säumten die Wände und bildeten Inseln mitten im Raum; Computer standen neben Vitrinenschränken. Auf den Tischen mit Arbeitsplatten aus schwarzem Stein befanden sich Mikroskope und Beweismitteltütchen. Anya entdeckte auf einem Tisch die Schuhe, die dem kleinen Mädchen im Getränkeautomaten gehört hatten. Sie wurden sorgsam von einer Frau in einem Laborkittel untersucht, die eine Pinzette in der Hand hielt. Anyas Blick verweilte bei den Schuhen. Einer der Schnürsenkel war gerissen, und die Frau war dabei, den Knoten zu lösen.
»Traurig, nicht wahr?«
Anya erschrak und drehte sich zu der Stimme um. Jenna Bentham, die Spezialistin für Spurenauswertung, stand hinter ihr. Sie schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge, den Blick auf die Laborantin gerichtet, die so sorgfältig Fasern von den Schuhen zupfte, wie ein Bauer, der ein Huhn rupft. Ihre langen braunen Zöpfe rutschten über ihre Schultern, und eingeflochtene Perlen schlugen klimpernd gegen ihre Ohrringe.
»Von wem stammen die Schuhe?« Anya wollte es wirklich wissen. Aufgrund der Berichterstattung nahm sie an, dass die Identität des Mädchens unklar war.
»Von einem kleinen Mädchen, das irgendwelche Monsterjäger in einem Getränkeautomaten gefunden haben.« Jenna seufzte.
»Tot aufgefunden?«
»Ja. Sie war schon lange tot. Der Leichenbeschauer meint, seit gut dreißig Jahren. Keine Hinweise auf Mord - bisher. Aber wir versuchen, eine Beschreibung des Mädchens zusammenzustellen, um sie mit den Vermissten von damals zu vergleichen.«
Anya hätte am liebsten gesagt: Sie ist ungefähr einen Meter groß, hat braune Augen, ein rundes Gesicht und Wimpern, so dicht wie die einer Puppe. Aber die Worte blieben ihr im Hals stecken.
»Kommen Sie, ich habe ein paar
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