Flammenzorn
nicht viel mehr, als einen ganz gewöhnlichen Tag in Detroit. Diese Brandstiftungen glichen dem nur oberflächlich erwähnten kleinen Mädchen in der Zeitung - sie waren unerheblich, nur der übliche Gang der Dinge.
Sie ignorierte die quasselnden Berichterstatter im Vordergrund und konzentrierte sich auf die Menge der Schaulustigen und die Wagen, die hinter dem Absperrband vorbeischlichen. Sie hielt Ausschau nach jemandem, der nicht ins Bild passte, nach jemandem, der sich alle Mühe gab, unauffällig zu wirken, jemandem, der sich nicht von dem Anblick losreißen konnte.
Auf dem Bildschirm war eine Reporterin zu sehen, die Limonade durch einen Strohhalm trank, um ihr Make-up nicht zu ruinieren. Sie sah jung aus, wie frisch aus dem College; Anya nahm an, dass es eine Volontärin war. Dieser Einsatz war für sie vermutlich die Gelegenheit, sich an einer Story zu üben, die nie ans Tageslicht gelangen würde - die Aufnahmen von dem Brand des Schönheitssalons waren nie gesendet worden. Gefilmt worden waren sie vom Bürgersteig der anderen Straßenseite, nachdem die Feurwehr den Tatort freigegeben hatte. Die Eigentümerin des Schönheitssalons stand weinend hinter der Absperrung. Nachbarn drängelten sich hinter ihr auf dem Gehsteig und sahen zu, wie die Feuerwehrleute abzogen. Die Reporterin beugte sich vor, um die Limonade auf dem Pflaster abzustellen, und Anya blinzelte.
Dieser Kerl. Irgendetwas an ihm kam ihr seltsam vor. Die Hände tief in den Taschen vergraben, ging er an der Menge vorbei. Er war groß, trug einen schwarzen Mantel und humpelte. Sein langes, glänzendes, dunkles Haar war im Nacken zusammengebunden. Sie konnte nicht erkennen, wo er hinsah; eine Sonnenbrille verbarg seine Augen. Er sah zu sehr nach einem Geschäftsmann aus, um in der Menge der Fabrikarbeiter nicht aufzufallen - die dunkle Wolle passte einfach nicht zu dem Flanell und den Jeans der herumstehenden Leute. Er tat nichts Verdächtiges, ging nur den Bürgersteig hinunter. Vielleicht war er nur ein Geschäftseigentümer oder ein Privatmann, der herausgekommen war, um sich den Schaden auf einem Nachbargrundstück anzusehen. Vielleicht.
Aber etwas an ihm sorgte dafür, dass ihr Nacken kribbelte und ließ sie in den zwei Wochen alten DVDs wühlen. Sie wechselte die Disk, und ihr Computer summte, als er die neue verdaute. Während sie ungeduldig darauf wartete, dass die Bilder von dem Gebäudebrand vor zwei Wochen angezeigt wurden, trommelte sie mit den Fingern auf der Tischplatte.
Dieses Feuer war in einem Vorort entstanden, in Redford Township gleich jenseits der Stadtgrenze. Der Tatort war ein verlassenes Haus, das von seinem insolventen Eigentümer aufgegeben worden war. Das Redford Fire Department hatte das DFD um Hilfe gebeten, weil das Feuer auf eine angrenzende Garage übergesprungen war und eine Schule bedrohte. Als klar wurde, dass es sich um Brandstiftung handelte, wurde der Fall an das kriminaltechnische Labor des DFD abgegeben. Anya war nur einmal zum Tatort gefahren, nachdem dort das Markenzeichen des Brandstifters entdeckt worden war. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, den Tatort zu besichtigen, als er noch frisch war.
Die Filmaufnahmen stammten vom Nachmittag nach dem Brand. Der Reporter stand auf der Straße vor dem Schulhof. Schulbusse standen innerhalb des Aufnahmebereichs. Im Hintergrund liefen Eltern umher, die ihre Kinder abholen wollten. Sie ließ den Film langsamer laufen, musterte die Schaulustigen - und erkannte eine vertraute Gestalt auf dem Bürgersteig. Sie sah ein blasses Gesicht mit kantigem Kinn im Dreiviertelprofil, das zu einem Mann in einem unscheinbaren, grauen Jogginganzug gehörte. Er tat nichts Außergewöhnliches, aber wie zuvor stand er auch jetzt ein wenig abseits der Menge. Zu isoliert. Und selbst in dieser unauffälligen Kleidung erschien er auf undefinierbare Weise - anders, distanziert. Er passte einfach nicht ins Bild. Und er durchquerte den Aufnahmebereich ohne ein Kind.
»Hab ich dich«, flüsterte sie. Es war derselbe Mann wie vor dem Schönheitssalon. Und er dürfte keinen sinnvollen Grund haben, an beiden Orten aufzutauchen, auch wenn zu dem Zeitpunkt die Feuer längst erloschen waren.
Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Sie schnappte sich den Hörer. »Kalinczyk.«
»Hier spricht Jenna aus dem Labor. Wir haben neue Ergebnisse zu Ihrem Tatort, die Sie bestimmt sehen wollen.«
»Bin gleich da.«
Anya schnappte sich ihre Jacke und die Schlüssel, schlug die Tür hinter sich
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