Flammenzungen
geschlafen, auch nicht, weil er es dringend brauchte, sondern ihr unschuldig-lüsternes Vorstadtlächeln machte ihn an.
Bereits im Asyl hatte es ihn erregt, wie sie ihn heimlich angeschmachtet hatte, wie sie errötet war, wenn er sie dabei ertappte, und sie verschämt wegschaute. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass eine Frau ihn offensichtlich begehrte. Er hatte schon immer gut ausgesehen und wusste seinen Charme einzusetzen. Also, was war anders? Was hatte Amy an sich, dass er sich ebenfalls zu ihr hingezogen fühlte, obwohl sie nicht seinem Frauentyp entsprach?
Vielleicht lag es an der Mischung aus Sex-Appeal und Unschuld. Ihre großen Augen, die vollen sinnlichen Lippen und ihre schlanke Taille. Sie wippte leicht beim Gehen, und ihre Brüste wogten auf und ab. Wenn sie ihren Kopf schnell in die andere Richtung drehte, blieben ihre blonden Haare manchmal in ihren Wimpern hängen. Ab und an stand sie hinter der Theke der Essensausgabe und träumte vor sich hin. Dabei hielt sie eine Haarsträhne an ihren Mund und spielte mit ihrer Zungenspitze mit dem Ende.
Er hatte Amy so intensiv beobachtet, dass ihm diese Details aufgefallen waren. Es waren nur Kleinigkeiten, die er jede für sich als nett bezeichnete, aber nicht mehr. Doch in der Summe hatten sie ihn erregt. Je intensiver er Amy gemustert, ja sie analysiert hatte, desto interessanter war sie für ihn geworden. Auf den ersten Blick sah sie langweilig aus. Er hatte jedoch zunehmend erkannt, dass sie eine subtile erotische Seite besaß. Genau da hatte er angesetzt. Dieses Wissen hatte er ausgenutzt. Er kam sich nicht einmal mies dabei vor, schließlich war sie auch auf ihre Kosten gekommen. Und Himmel und Hölle, diese Frau war in der Lage, sich vollkommen fallen zu lassen. Mit so viel Hingabe hatte er dann doch nicht gerechnet. Nun konnte er es kaum erwarten, sie ein zweites Mal zu verführen.
Er rieb über seinen Schritt und stöhnte. „Du darfst dich nicht so gehen lassen. Dein Verstand muss die Kontrolle behalten, nicht dein Schwanz.“
Er schritt zur Kommode hinüber und betrachtete die Fotos, vermutlich von Familienmitgliedern und Freunden. Alle Abgebildeten waren ordentlich gekleidet. Die Männer trugen kurze Frisuren, die Frauen waren dezent geschminkt, und ihre Kleidung war faltenfrei gebügelt. Da endlich ging ihm ein Licht auf, was ihn wirklich an Amy faszinierte.
Seitdem er im Gefängnis gesessen hatte und auf der Straße lebte, rümpften alle Frauen ihre hübschen Nasen, wenn sie ihm begegneten. Viele schlugen im Park eine andere Richtung ein. Sie zerrten ihre Kinder von ihm fort oder krallten sich am Arm ihres Begleiters fest, als erwarteten sie, dass Lorcan jeden Augenblick über sie herfallen könnte. Nur Amy schienen seine Vergangenheit und seine heruntergekommene Fassade nicht abzuschrecken. Als könnte sie direkt in sein Herz sehen.
„Bitte nicht.“ Was sie dort zu sehen bekäme, würde sie erschrecken. Er zog die erste Schublade auf und durchwühlte sie.
Amy sprach höflich mit ihm, behandelte ihn nicht anders als ihre Kollegen Wanda, Finley und Seth und hatte ihn von ihrer ersten Begegnung an sogar schüchtern angelächelt. Bei allen anderen Frauen verfinsterten sich stets die Mienen. Sie reagierten abweisend und bauten so eine schützende Mauer um sich herum. Das tat Amy nicht. Genau darin lag der Unterschied. Damit hatte sie ihn beeindruckt. Dadurch reizte sie ihn. Er wollte sie näher kennenlernen und mehr über sie erfahren.
Lorcans schlechtes Gewissen wuchs mit jeder Lade, die er durchsuchte, doch es war nicht stark genug, ihn davon abzuhalten.
Plötzlich fand er eine Schachtel, die in einer leeren Keksdose versteckt war. Er öffnete sie und ließ einige der Patronen in seine Handfläche fallen. Zweifellos gehörten sie zu dem Revolver, mit dem Amy den Indianer bedroht hatte. Er rechnete nicht damit, die Pistole ebenfalls zu finden. Amy trug sie bestimmt in ihrer Tasche bei sich. Vor Überraschung waren ihm fast die Augen ausgefallen, als sie am Abend zuvor auf dem Parkplatz den Colt gezückt hatte. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, dass Amy eine Waffe besaß! Das passte einfach nicht zu ihr. Sie war viel zu herzlich für so ein tödliches Instrument.
„Aber sie hat verdammt heiß mit dem Schießeisen in der Hand ausgesehen.“ Lorcan gab einen anerkennenden Pfiff von sich und packte die Schachtel zurück.
Nachdem er jeden Winkel des Wohnzimmers untersucht hatte, und zwar so vorsichtig, dass Amy nicht bemerken
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