Flammenzungen
erinnere, hat dir das gut gefallen.“ Lorcan wusste seinen Sätzen einen frivolen Unterton beizumischen, der ihr jedes Mal von Neuem eine wohlige Gänsehaut bescherte.
Müde legte sie den Kopf auf ihrem Unterarm ab. „Du hättest mich wenigstens fragen können, ob ich das möchte.“ „Ohne den Überraschungseffekt wäre es nur halb so schön gewesen.“ Er zog seinen Penis aus ihr heraus und stand auf.
Kaum hatte er Amy geholfen, sich zu erheben, hob er sie auf seine Arme. Erstaunt weiteten sich ihre Augen. Ihr Herz schlug schneller.
„Als kleine Wiedergutmachung für das Überrumpeln.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen trug er sie ins Haus.
„Für welches?“» konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen, obwohl sie wusste, dass er von der Fesselung sprach. „Das von gestern Nacht oder das eben?“
Amy schlang den Arm um seine Schulter und hielt sich an ihm fest. In seiner Nähe fühlte sie sich wohl. Vielleicht sollte sie ihrem Instinkt mehr vertrauen, schließlich waren es stets die anderen gewesen, die ihr eine gewisse Skepsis ihm gegenüber einzureden versuchten. Er dagegen hatte nie etwas getan, das sie an ihm hatte zweifeln lassen. Im Asyl hatte er sie vor dem Indianer gerettet. Als Nabil zu Besuch kam, hatte er sich zurückgezogen, um nicht zu stören. Während sie arbeiten gegangen war, hatte er weder etwas gestohlen noch ihre Einrichtung demoliert.
Aus einem Impuls heraus küsste sie seine Wange. Er wirkte perplex. Seine Wangen röteten sich, er senkte seinen Blick. Warum reagierte er auf einmal schüchtern? Oder was hatte dieses Verhalten zu bedeuten?
Mit den Fingerspitzen kämmte sie sein feuchtes Haar zurück. Dabei fiel ihr eine Stelle hinter seinem Ohr auf, die bisher von seiner Löwenmähne verdeckt gewesen war. Zuerst hielt sie es für ein Tattoo, das weggelasert worden war. Doch als Lorcan das Licht im Badezimmer anschaltete, konnte sie es besser sehen. Jemand hatte ihm etwas in seine Haut eingeritzt. Oder er selbst mithilfe eines Spiegels. Ja, Letzteres war gut möglich, dachte sie, denn das Kleeblatt sah unförmig aus, wie von Kinderhand gemalt. Die Narben waren verheilt. Wie lange hatte Lorcan das schon?
Sachte setzte er sie auf der Badematte ab und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Sein getrimmter Kinnbart roch nach ihrer Feuchtigkeit.
Plötzlich fiel ihr ein dass ihre Kleidung noch im Regen lag. „Ich hole noch schnell unsere Sachen rein.“
„Ach, lass sie.“ Er winkte ab, nahm zwei Handtücher aus dem Schrank und legte sie auf den Toilettendeckel. „Nasser können sie kaum werden.“
Sie rannte trotzdem in den Garten. Als sie die Hosen, Oberteile und Unterwäsche aufhob, betrachtete sie die Kleeblätter im Rasen. Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie dachte an die Vollzugsanstalt und dass sich die Häftlinge oft mit Nadeln und Tinte gegenseitig tätowierten. Handelte es sich bei dem Zeichen, das Lorcan trug, um ein misslungenes Tattoo?
Mit einem Mal erinnerte sie sich an einen Fernsehbericht über Bandenkriege in US-Gefängnissen. In diesem wurde auch erwähnt, dass das Shamrock das Zeichen der Arischen Bruderschaft war. Gehörte Lorcan etwa zu The Brand, wie sich die Vereinigung auch nannte? Wenn es so war, warum präsentierte er das Zugehörigkeitssymbol nicht offen? Verbarg er es, weil er von der Gang mit dem Kürzel AB einen Auftrag erhalten hatte und nicht wollte, dass man ihm auf die Schliche kam? Immerhin gehörten der Aryan Brotherhood um die fünfzehntausend Mitglieder an - nicht nur in den Gefängnissen, sondern auch außerhalb.
Wie ein begossener Pudel stand sie im Garten. Der Regen nahm zu und lief ihr in die Augen. Sie blinzelte ihn weg. Die Angst breitete sich quälend langsam in ihr aus, als sie über die Tragweite nachdachte. Hatte sie einen Rassisten in ihr Haus eingeladen? Hatte sich Lorcan etwa doch nicht mit dem Indianer angelegt, um sie zu beschützen, sondern weil er die Chance nutzen wollte, einen Nichtweißen zu erniedrigen, ihm eine zu verpassen und aus seinem Dunstkreis zu entfernen?
Was jedoch am schwersten auf ihr lastete, war die Frage, ob sie Nabil in Gefahr brachte, indem sie Lorcan in ihr Leben gelassen hatte.
Einen Dunkelhäutigen. Einen Schwarzäugigen. Einen Pakistani.
Einen Feind der Bruderschaft.
10. KAPITEL
November, ein Jahr zuvor Waggaman,
Carnival Street
„Acadiana Groceries wünscht Ihnen einen wunderschönen Abend, Ms. LaBauve“, sagte der Junge neben der Kasse in einem Cajun-Dialekt.
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