Flandry 4: Ehrenwerte Feinde
sich zu Eigen machen. Beteigeuze hatte nie versucht, ein Sternenreich des Umfangs aufzubauen, wie Terraner oder Merseianer es errichtet hatten, sondern es begnügte sich mit der Herrschaft über einige Nachbarsonnen, die zum Schutz ihres Heimatsystems erforderlich waren. Generationen gerissener Sartazi hatten erkannt, wie nützlich es war, potenzielle Feinde gegeneinander auszuspielen – und im Gegenzug erschien es den großen Sternenreichen günstig, sich Beteigeuze als Puffer zu ihren Rivalen und den Barbaren jenseits der Randgebiete zu bewahren.
Diese Stabilität endete jedoch allmählich, seit die Spannung zwischen Terra und Merseia auf immer neue Höhen kletterte. Genau zwischen beiden Hoheitsräumen gelegen, beherrschte die beteigeuzische Raumflotte die direkte Verbindung zwischen ihnen und war in der Position, sowohl das Imperium als auch das Roidhunat ins Herz zu treffen. Daher war Beteigeuze ein unbezahlbarer Verbündeter. Konnte Merseia solch ein Bündnis schließen, wäre es vermutlich der Schlussstein in den Kriegsvorbereitungen gegen Terra gewesen. Gelang es jedoch Terra, Beteigeuze zu gewinnen, so müsste Merseia plötzlich Konzessionen machen.
Das System der roten Sonne war mit Gesandten überschwemmt, mit Spionen, vornehmen Erpressern, Verbreitern hoher Bestechungsgelder und anderen Agenten, zu denen die jeweilige Regierung jedwede Verbindung leugnete, sollten sie gefasst werden. Die offiziellen Verhandlungen hatten einen Punkt erreicht, an dem – wie Flandry es ausdrückte – ›klandestine Operationen‹ auf der Hauptwelt Alfzar zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor geworden waren. Aline und er waren erst in jüngerer Zeit dorthin abkommandiert worden. Ihn hatte man hauptsächlich wegen seiner Erfahrung mit Nichtmenschen ausgesucht, sie ob ihrer Talente im Umgang mit der eigenen Spezies. Eine kleine Anzahl Menschen siedelte hier seit Generationen; sie hatten das Bürgerrecht, und einige von ihnen nahmen Schlüsselpositionen ein.
Und dann war Aycharaych eingetroffen.
Für die erlauchtesten seiner Gäste gab der Sartaz eine Jagdgesellschaft. Der Monarch genoss es offensichtlich zuzusehen, wenn Todfeinde gezwungen waren, freundlich miteinander umzugehen. Der Anlass erfreute die Merseianer gewiss am meisten; sie waren zum überwiegenden Teil passionierte Jäger. Die Terraner waren weniger begeistert, konnten die Einladung aber kaum ablehnen.
Besonders Flandry empörte sich über das Bevorstehende. Er hielt sich zwar in Form, doch nur, weil es zum Überleben erforderlich war; sein Lieblingssport wurde im Liegen ausgetragen. Vor allem aber hatte er viel zu viel anderes zu tun.
Die ausgeklügeltsten Pläne, die Flandry und seine Kollegen ersannen, gingen schief. Ob Imperiumsbürger, Beteigeuzer oder noch exotischer, einem terranischen Agenten nach dem anderen stieß etwas zu. Ihre Vorhaben scheiterten an plötzlicher Wachsamkeit. Sie wurden aufgedeckt, ihre Büros durchsucht und ihren gesicherten Datenbanken Geheimmaterial entlockt. Sie selbst wiederum wurden verhaftet, verschwanden spurlos oder starben einen unerklärlichen Tod. Niemand fand einen Maulwurf. Flandrys Vermutung traf allgemein auf Vorbehalte. Kein Einzelwesen konnte so tüchtig sein, wie er es von Aycharaych glaubte. Es war schlichtweg nicht möglich, dass der Gegner von so vielen Projekten, Geheimlagern, Kontaktpersonen und Verstecken erfahren haben sollte – oder dass sein Rivale einen von Flandrys Mordanschlägen nach dem anderen unbeschadet überstand –, und doch, verdammt, es geschah.
Und jetzt ausgerechnet eine Jagd!
Alfzar hat fast die gleiche Rotationsperiode wie Terra. Flandrys Diener weckte seinen Herrn daher zu einer unchristlich frühen Stunde. Flandry hatte nichts gegen Sonnenaufgänge; sie waren immer ein hübscher Abschluss für eine vergnügliche Nacht. Bei Sonnenaufgang aufzustehen bedeutete eine Abkehr von Gottes Gaben. Die Morgendämmerung auf Alfzar war zudem wirklich fremdartig. Blutrot gefärbter Nebel zog klamm durch die offenen Fenster des Schlafzimmers. Er roch wie feuchtes Eisen. Irgendwo blies jemand ein Horn, zweifellos in der Absicht, eine frohe Stimmung zu verbreiten; für Flandry klang die einheimische Musik jedoch eher nach einer Katze in einer Waschmaschine. Triebwerke grollten. Flandry schloss die Hand um die Wärme einer Kaffeetasse und schauderte.
Aber jemand muss ja die Zivilisation vor dem Konkurs bewahren, wenigstens, solange ich lebe, sagte er sich. Man bedenke die
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