Flandry 4: Ehrenwerte Feinde
zurück und zitterte still.
Ein Pfeifen riss ihn in die Gegenwart zurück. Der andere Jet befand sich im Sinkflug. Offenbar wollte der Pilot nachsehen, wie es Flandry ging; dessen Funkgerät war hors de combat. Der Terraner öffnete die Kanzelhaube, kletterte hinaus und stellte sich auf dem grellgelben Gras in den eiskalten Wind, damit er sich angemessen bedanken konnte.
Das Flugzeug setzte auf. Das Jaulen des Triebwerks verstummte; die Kanzelhaube fuhr zurück, und der Pilot stieg aus.
Aycharaych.
Flandrys Reaktion kam fast augenblicklich. Hier stand er, in Umhang, Kapuze und Schutzbrille auf diese Entfernung nicht zu erkennen. Und dort stand sein argloser Feind, und es gab keine Zeugen; jegliche Gewissensbisse konnten verschoben werden, bis er Zeit dazu fand …
Flandrys Hand lag auf dem Griff seines Nadlers, als er sah, dass Aycharaych bereits die Waffe gezogen und auf ihn angelegt hatte. Flandry erstarrte. Der Chereioner kam leichten und steten Schritts näher, und Flandry hörte ein ruhig ausgesprochenes Wort: »Nein.«
Der Terraner breitete die Hände aus. »Sie wollen also selbst die Ehre haben?«
»Aber keineswegs«, erwiderte Aycharaych, »es sei denn, Sie lassen mir wirklich keine andere Wahl. Ziehen Sie Ihren Nadler; lassen Sie ihn fallen, und treten Sie einige Meter beiseite. Danach dürfen Sie gern nachsehen, ob Ihre Maschine noch flugtüchtig ist. Falls nicht, rufe ich Ihnen gerne Beistand.«
»Das … ist … sehr … freundlich … von … Ihnen, Sir.«
»Sie sind mir sehr nützlich, Captain. Wie ich feststelle, wissen Sie nun auch, weshalb.«
Aycharaych weigerte sich gewandt, noch weiter auf das Thema einzugehen.
Das Licht des Nachmittags strömte durch ein Fenster in Alines Zimmer, den abgeschiedensten Ort, den Flandry und sie im ganzen Palast finden konnten. In der Röte fiel die Blässe ihres Gesichts nur umso mehr auf. »Das kann nicht sein«, flüsterte sie mit zusammengepressten Lippen.
»Doch«, entgegnete Flandry grimmig. »Es ist die einzige Erklärung. Er weiß alles über uns, alles, was wir probieren, planen und … denken. Er kann unsere Gedanken lesen.«
»Aber Telepathie … Du kennst doch selbst ihre Grenzen …«
Flandry nickte. »Bei diesen Frequenzen ist die Datenübertragungsrate zu niedrig; dazu kommen das hohe Grundrauschen und der rasche Signalverlust. Ganz zu schweigen vom Problem der Codierung. Die Denkmuster anderer Arten sind so fremdartig, dass ein Telepath für jede Spezies eine neue ›Sprache‹ lernen muss – bei telepathisch unbegabten Spezies wie unserer sogar für jede Einzelperson. Wir wachsen nicht mit einem gemeinsamen Kommunikationstyp auf, wie es bei uns etwa andere Muttersprachen sind.«
Er begann auf und ab zu schreiten. »Aber Chereion ist ein sehr alter Planet. Sein Volk steht bei den abergläubischeren Merseianern im Ruf, Zauberer zu sein. Aus irgendeinem Grund müssen Chereioner in der Lage sein, etwas im Geist aufzuspüren und zu interpretieren, das allen oder fast allen intelligenten Wesen gemein ist. Ich habe darüber nachgedacht … eine fantastische angeborene Fähigkeit, Informationen zu erlangen, sie zu speichern, sie über sämtliche Äste eines Logikbaumes rauf und runter zu jagen, bis die Bedeutung klar wird – binnen Stunden, Minuten, Sekunden?«
Er schlug sich in die Hand. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nur Oberflächengedanken lesen kann – das, was einem gerade im Bewusstsein steht. Wäre es anders, hätte er schon so viel über uns rausgefunden, dass die Merseianer längst auf Terra herumstolzieren würden. Aber was er kann, ist schon schlimm genug!«
»Kein Wunder, dass er dich verschont hat«, erwiderte Aline düster. »Du bist jetzt der wertvollste Mann auf seiner Seite.«
»Und ich kann rein gar nichts daran ändern«, seufzte Flandry. »Ich bin so völlig hilflos – wir alle sind es –, dass es ihm völlig egal ist, was wir über ihn erfahren. Vielmehr kalkuliert er unser Wissen bei seinen Planungen mit ein – und unseren Verlust an Moral bei dieser Neuigkeit …
Ich weiß nicht, welche Reichweite Aycharaychs Gabe besitzt – wahrscheinlich nur ein paar Meter auf der Grundlage, was wir über die physikalische Natur der Trägerwellen von Telepathie wissen. Aber er sieht mich jeden Tag, und jedes Mal schaut er sich meine Gedanken an.« Als Flandry lachte, klang es schrill. »Wie sollte ich nicht an meine Arbeit denken? Soll ich jeden wachen Augenblick Mantras herunterbeten? Vielleicht sollte ich
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