Flandry 4: Ehrenwerte Feinde
zurückziehen?«, fragte sich Flandry.
»Das wagen wir zu hoffen – wenn der Handstreich schnell genug durchgeführt wird, dass wir sie überraschen. Es ist natürlich von entscheidender Bedeutung, dass die Beteigeuzer auf keinen Fall etwas ahnen. Meine Aufgabe besteht darin, die Tätigkeiten – und die Untätigkeit – unserer Agenten zu koordinieren und sie auf die Stunde null vorzubereiten.«
Flandry schüttelte den Kopf, als könnte er damit seine Bestürzung abschütteln. »Warum sagst du mir das?«, ächzte er beinahe. »Aycharaych wird mir die Neuigkeit direkt aus dem Schädel pflücken.«
»Weil ich es allein nicht schaffe«, erklärte sie. »Ich habe mit einem Dutzend und mehr Offizieren zu tun und … du musst nicht unbedingt wissen, wer oder wo sie sind. Offensichtlich wird Aycharaych die Merseianer alarmieren und Gegenmaßnahmen einleiten.«
»Wie zum Beispiel den Sartaz zu warnen.«
»Vielleicht. Ich glaube es aber nicht – jedenfalls nicht als Erstes. Sie hätten keine Beweise, nur Aycharaychs Aussage, und selbst wenn er dem Sartaz eine Kostprobe seiner Gedankenlesekunst bietet, was ist sein Wort wert? Wenn die Merseianer es doch versuchen, brauchen wir jemanden vor Ort, der alles bestreitet – und natürlich der Navy ein Signal sendet, dass die Invasion abgeblasen werden muss. Ein cleverer Mann könnte sich die Situation zunutze machen, um wiederum die Merseianer zu diskreditieren oder so etwas … Und wir haben niemanden hier, der cleverer wäre als du oder der besser mit Nichtmenschen zurechtkäme.« Sie streichelte ihm übers Haar, küsste ihn flüchtig und fügte flüsternd hinzu: »Und mit Menschen auch, wie ich feststellen durfte.«
Damit weckte sie einen neuen Schrecken in ihm. »Sie werden dir auf jeden Fall auf den Leib rücken«, sagte er. »Wenn sie dich fassen oder diese verdammten Attentäter dich in die Finger bekommen …«
»Auch dabei brauche ich deine Hilfe: Du musst dafür sorgen, dass es nicht dazu kommt«, erwiderte Aline mit einer Tapferkeit, die ihn rührte. »Ich nehme jetzt eine Schlaftablette, die mich für die nächsten paar Stunden außer Gefecht setzen wird. Du sorgst dafür, dass Aycharaych nicht in der Nähe ist, wenn ich aufwache, und noch eine ganze Weile danach. Jeden anderen Agenten kann ich abschütteln und werde untertauchen.«
Flandry nickte. »Wenn es sein muss, greife ich ihn körperlich an. Aber das wird er vorher wissen; also wird er sich wohl eher auf ein Gespräch einlassen. Wenn ich dicht genug an ihn rankomme, kann ich ihm den dürren Hals umdrehen.«
Und der beteigeuzischen Gerichtsbarkeit zum Opfer fallen, dachten sie beide, ohne es jedoch auszusprechen.
Aline küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. »Ich danke dir, Liebster«, hauchte sie. »Ich würde furchtbar gern noch einmal von dir geliebt werden, aber das können wir nicht wagen, oder?«
»Wir reservieren dafür einfach den Rest unseres Lebens«, schwor er.
Aline nahm ihr Schlafmittel und atmete bald nur noch leicht. Flandry betrachtete sie lang, dann machte er sich auf die Suche nach Aycharaych.
Er fand den Chereioner, wie er in einem abgelegenen Teil des Gartens unter rotem Mondlicht seltsame Blüten betrachtete; die Sonne war noch nicht aufgegangen. Das hagere Gesicht des Telepathen verzog sich zu einem Lächeln. »Guten Morgen, Captain«, grüßte er Flandry. »Ein wenig früh für Sie, nicht wahr? Aber andererseits haben wir heute ja viel vor.«
Er wusste Bescheid.
An den folgenden beiden Tagen arbeitete Flandry so hart wie selten zuvor. Paradoxerweise gab es für ihn kaum etwas zu tun; trotzdem war er ständig unterwegs, hielt die Kommunikation in seinem Netz aus Zuträgern aufrecht und vergewisserte sich ständig, dass ihn keine Katastrophe unvorbereitet traf. Vielleicht, so überlegte er, war es die ununterbrochene Belastung, die seine scharfe Zunge stumpf werden ließ und sein Urteilsvermögen beeinträchtigte; vielleicht war es auch Angst um Aline. Doch was auch immer der Grund sein mochte, das Denken strengte ihn an, und die Intuition, die Wahrheit von Lüge trennte, hatte ihn verlassen. Allein aus diesem Grund war es gut, dass praktisch alles ohne ihn geschah, sogar ohne sein Wissen.
Flandry hatte darüber nachgedacht, die Geheimhaltung zu brechen und die Neuigkeiten an die terranische Botschaft, die Sonderdelegation oder wenigstens bestimmte Angehörige des Nachrichtenkorps weiterzugeben. Aber was sollte das nützen? Damit erhöhte er nur das Risiko einer
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