Flandry 4: Ehrenwerte Feinde
die wimmelnden, flackernd erhellten Straßen überragte. Die Tafelwand war weiß, die Worte darauf jettschwarz: eine zwei Kilometer lange Liste von Vorschriften für eine ernste, bittere Lebensart. »Nanu!«, rief er aus, »den haben wir ja noch gar nicht besichtigt. Gehen wir hin!«
Der oberste Fremdenführer, ein stämmiger grauer Krieger, von Jahrzehnten Wind und Frost gegerbt, wirkte unbehaglich. »Wir müssen schnell zum Palast zurück, Orluk«, sagte er. »Ein Bankett wird vorbereitet.«
»Oh … schön. Schön! Ich weiß aber nicht, ob ich nach dem kleinen Ausflug hier noch die Kraft für eine Orgie habe. Finden Sie nicht auch?« Flandry stieß dem Mann mit dem Daumen unverschämt in die Rippen. »Trotzdem, einen Blick hineinwerfen muss ich. Wirklich. Dieser Wolkenkratzer ist einfach unglaublich.«
»Zuerst müssen wir uns reinigen.«
Ein junger Mann fügte unverblümt hinzu: »Es kann auf keinen Fall gestattet werden. Sie sind kein Gläubiger, und es gibt auf allen Sternen nichts Heiligeres.«
»Oh … ja, wenn das so ist … Haben Sie was dagegen, wenn ich ihn morgen fotografiere?«
»Ja«, antwortete der junge Mann. »Es ist zwar vielleicht nicht verboten, aber wir können nicht verantworten, was ein gewöhnlicher Stammeskrieger tun könnte, der Sie mit Ihrer Kamera sieht. Niemand außer den Tebtengri würde den Turm mit einem anderen als dem allerehrfürchtigstem Auge anblicken.«
»Teb …?«
»Rebellen und Heiden hoch im Norden.« Der ältere Mann berührte Stirn und Lippen, ein Schutzzeichen gegen das Böse. »Die Zauberwirker von Tengri Nor. Sie verkehren mit dem Eisvolk. Es ist nicht gut, von ihnen zu reden, nur, sie auszurotten. Jetzt müssen wir uns beeilen, Orluk.«
»Oh, ja. Ja, sputen wir uns. Ganz gewiss.« Flandry stieg eilig ins Tulyak, eine offene Motorkutsche mit einem Drachenkopf als Galionsfigur.
Während Flandry zum Palast gefahren wurde, wog er ab, was er wusste, und gelangte zu einem wenig beruhigenden Ergebnis. Hier ging etwas vor, etwas viel Gewichtigeres als ein planetarer Krieg, und nach Oleg Khans Willen sollte Terra nichts davon erfahren. Ein terranischer Agent, der tatsächlich auch nur einen Teil der Wahrheit erfuhr, käme niemals lebend nach Hause; nur einem Idioten von hoher Herkunft würde eine sichere Rückreise gewährt. Ob Flandry die Altaianer überzeugen konnte, dass er solch ein Idiot war, bliebe abzuwarten. Leicht würde es nicht werden, denn auf jeden Fall musste er gleichzeitig noch tiefer stochern.
Und außerdem, mein Freund: Wenn es dir irgendwie gelingen sollte, deinen Umhang um dich zu schwingen, deinen Schnurrbart zu zwirbeln und wegzugaloppieren, um einen imperialen Kampfverband herbeizupfeifen, ruft Oleg vielleicht seine Freunde. Ganz offensichtlich handelt es sich dabei keineswegs um einen privaten Waffenhändler, wie er mich glauben machen will; ganz Altai könnte nicht genügend Waren produzieren, um für das ganze Zeug zu zahlen. Wenn die Freunde also zuerst herkommen und beschließen sollten, ihre militärische Investition zu beschützen, kommt es zum Kampf. Und da sie sich sowohl an der Oberfläche eingegraben haben als auch die lokale Raumüberlegenheit besitzen, haben sie alle Vorteile auf ihrer Seite. Die Navy wird es dir nicht danken, Freundchen, wenn du sie in ein Gefecht schickst, das sie schon verloren hat.
Flandry zündete sich eine frische Zigarette an und fragte sich niedergeschlagen, weshalb er dem Hauptquartier nicht erwidert hatte, er liege mit dem Twonk’schen Fieber im Bett.
Der Palastlakai, der Flandry in seiner Gästesuite bedienen sollte, hatte gewisse Schwierigkeiten, mit terranischer Kleidung zurechtzukommen. Flandry verbrachte eine halbe Stunde damit, sich sein Ensemble selbst auszuwählen. Endlich folgte er, sehr beruhigt, einer Ehrenwache, die blanke Dolche in den Händen trug, zum Bankettsaal, wo man ihm einen Platz zur Rechten des Khans zuwies.
Einen Tisch gab es nicht. Über die ganze Länge des Saals erstreckte sich eine große Steinwanne, und hundert Männer saßen mit untergeschlagenen Beinen auf beiden Seiten. Aus Rollkesseln wurde eine Brühe hineingegossen, die an Wan-Tan-Suppe erinnerte, aber scharf schmeckte. Als der Khan das nächste Mal ein Zeichen gab, ließ man die Suppe durch Abläufe abfließen, spülte die Wanne aus eingebauten Wasserhähnen und schaufelte noch unidentifizierbare feste Speisen hinein. Während des Mahls wurden die Tassen mit heißem, stark alkoholischem Kräutertee stets
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