Flandry 4: Ehrenwerte Feinde
nachgefüllt, sobald man daran genippt hatte; eine kleine Kapelle lärmte mit Pfeifen und Trommeln, und es gab einige recht spektakuläre Auftritte von Varyakfahrern, Messertänzern, Akrobaten und Scharfschützen. Am Ende des Mahles erhob sich ein alter Stammesbarde und sang seine Weisen; ein pummeliger, fröhlicher kleiner Mann aus dem Bazar der Innenstadt erzählte seine originellen Geschichten; der Khan reichte jedem anwesenden Mann ein Geschenk, und die Sache war vorüber. Nicht ein einziges Wort war gewechselt worden.
Na ja, für alle anderen war es sicher eine echte Sause, dachte Flandry mürrisch.
Nicht mehr ganz nüchtern folgte er den Palastwächtern zurück in seine Suite. Der Diener wünschte ihm eine gute Nacht und schloss die dicken Pelzvorhänge, die als Zimmertüren fungierten.
Eine strahlende Kugel erleuchtete das Zimmer, doch ihr Schein wirkte schwächlich gegenüber dem Schimmer, der ein verglastes Balkonfenster erfüllte. Flandry öffnete es und blickte verwundert hinaus.
Unter ihm lag die dunkle Stadt. Hinter funkelnden roten Lagerfeuern erstreckte sich der dunkle Ozero Rurik mit zahlreichen zitternden Zungen aus Mondlicht bis zum Horizont. Auf der linken Seite ragte der Turm des Propheten auf, eine ewige Flamme, von stetigen, winterlich brillanten Sternen gekrönt. Beide Monde waren fast voll, rötliche Scheiben, für das Auge sechs- beziehungsweise achtmal so breit wie Luna, unter einem Heiligenschein aus Eiskristallen. Ihr Licht überflutete die Ebenen und verwandelte den Zeya und den Talyma in Bänder aus Quecksilber. Aber die Ringe beherrschten alles und überspannten den Südhimmel mit fahlen Regenbögen. Jede Sekunde stürzten meteoritische Partikel aus dem doppelten Band in die Atmosphäre und durchquerten als dünne Feuerstreifen den Himmel.
Flandry war kein großer Landschaftsbetrachter, aber diesmal dauerte es, bis er die Kälte der Luft bemerkte.
Er kehrte in seine vergleichsweise warme Suite zurück. Als er das Fenster schloss, kam eine Frau aus dem Schlafzimmer.
Mit dieser Art Gastfreundschaft hatte Flandry gerechnet. Sie war größer als die meisten Altaianer und hatte langes blauschwarzes Haar und schräge schimmernde Augen von einem Grünton, wie er auf diesem Planeten selten war. Davon abgesehen verbargen sie ein Schleier und ein vom Gold steifer Mantel. Sie trat rasch vor, bis sie dicht vor ihm stand, und Flandry wartete auf irgendein Zeichen der Unterwerfung.
Stattdessen betrachtete sie ihn fast eine Minute lang. Im Zimmer wurde es so still, dass Flandry den Wind auf dem See hören konnte. In den Ecken lauerten dichte Schatten, und die Drachen und Krieger auf den Gobelins schienen sich zu regen.
Schließlich fragte die Frau mit leiser, ungleichmäßiger Stimme: »Orluk, sind Sie wirklich ein Spion von der Mutter aller Menschen?«
»Ein Spion?« Flandry dachte entsetzt an Agents provocateur. »Gütiger Kosmos, nein! Ich meine, um es deutlich zu sagen, ich bin nichts dergleichen!«
Die Frau berührte ihn fest am Handgelenk. Sie hatte kalte Finger und drückte ihn mit panischer Kraft. Ihre andere Hand schob den Schleier beiseite. Flandry blickte in ein breites, hellhäutiges Gesicht mit einer zierlich gebogenen Nase, einem vollen Mund und einem festen Kinn: Sie war eher gutaussehend als schön. Sie wisperte so schnell und wild, dass er ihr kaum folgen konnte:
»Wer auch immer Sie sind, Sie müssen mich anhören! Wenn Sie kein Krieger sind, dann melden Sie meine Worte Ihren Kriegern, wenn Sie wieder zu Hause sind. Ich bin Bourtai Iwanskaja vom Volk der Tumurji, das zum Schamanat von Tebtengri gehört hat. Sicher haben Sie schon davon gehört: Es sind Feinde Olegs, die er nach Norden abdrängen konnte, aber noch immer im Krieg mit ihm stehen. Mein Vater war ein Noyon, ein Divisionskommandeur, und stand mit dem Juchi Ilyak auf vertrautem Fuß. Letztes Jahr fiel er in der Schlacht am Fluss der Flüsse, als die Yesukai unser ganzes Ordu eroberten. Ich wurde lebend hierher geschafft, teils als Geisel …« Hochmut flackerte auf: »Als könnte das mein Volk beeindrucken! – und teils für den Harem des Kha-Khans. Seither habe ich mir ein wenig sein Vertrauen erschlichen. Wichtiger noch, ich habe jetzt eigene Verbindungen, denn der Harem war stets der Knotenpunkt aller Intrigen, und nichts bleibt lange geheim vor ihm, aber vieles, was geheim ist, nimmt dort seinen Anfang …«
»Das weiß ich«, sagte Flandry. Er war verblüfft, überwältigt fast, aber er konnte nicht
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