Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Ratschläge längst beherzigt? Gute Nacht! Schlafen Sie, das ist mein Tipp für heute. Etwas Besseres können Sie Ihrem Körper im Moment nicht gönnen. Schlaf ist immer noch die beste Medizin.«
Sie war verschwunden. Doch Saalfeld wusste, diesmal lag er alles andere als falsch. Er hatte ins Schwarze getroffen.
Nun wartete die Nacht auf ihn. Das machte ihm Angst. Nachts konnte er nur noch selten schlafen, und das schon seit Jahren. Nie stand die Zeit so still wie in den stumpfen Stunden der Finsternis. Wenn man zu müde war, um zu lesen, aber viel zu wach, um die Augen zu schließen, half nichts. Man versuchte, nicht zu denken, und lud die Gedanken damit geradezu ein, erst recht wie bei einer Treibjagd durch den Kopf zu rasen. Er hatte alles probiert, Alkohol, Milch, nichts essen, viel essen, leichte Kost, schwere Kost, Sex, leichte Drogen, die Liste nahm kein Ende. Doch je mehr er ausprobiert hatte, desto weniger wollte ihm das Schlafen gelingen. Nun stand ihm wieder eine dieser Nächte bevor.
Sandra fand Carlo natürlich in der Küche, allein. Ein ungewöhnliches Bild, denn die letzten Tage, war der Herd immer das pulsierende Zentrum, das wärmende Herz des Hauses gewesen.
Sie wusste, der späte Abend war nicht der Grund, warum sich selbst dort jene bedrückende Stille breitgemacht hatte. Langsam hatte Sandra genug von der niedergeschlagenen Stimmung. Ihre Beziehungen hatten sich als brüchiger erwiesen, als sie gedacht hatten, aber standen sie deswegen schon am Abgrund? Wie hatte ihr Onkel immer gesagt? »Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!« Was hatte es denn für einen Sinn, wenn sie und Heiko, nur um sich zu schonen, weiter auf glücklich machten, während er fleißig links und rechts den vögelnden Gigolo gab. Sie wusste schon lange, dass er sie ständig betrog. Was sie ihm übrigens nicht einmal allzu übelnahm, denn ihre Liebe war schon lange abgekühlt.
Sie selbst musste sich nicht auf diese Art austoben und jeden Abend einen anderen im Bett haben. Ihr war nur klargeworden, dass sie einen ganz anderen Mann an ihrer Seite brauchte, einen, der ihr die Freiheit gab, sich selbst zu erfahren und zu verstehen. Einen echten Mann, der sich nicht nur mit ihr schmücken wollte und dabei selbst noch keinen Schimmer hatte, wer er war. Heiko würde noch eine ganze Weile brauchen, um das zu verstehen.
Auch Anna und Carlo konnten froh sein, dass die Karten auf dem Tisch lagen. Man musste wirklich nicht Miss Marple sein, um zu sehen, dass die beiden nicht zueinander passten. Sie wollte hoch hinaus, und er schien zufrieden mit dem, was er hatte. Sie war in der großen weiten Welt zu Hause und er in seinem geliebten München. Sandra mochte Carlo. Im Vergleich zu ihm war Heiko eine Lachnummer. Sie konnte nicht sagen, wie, aber das Gespräch mit Saalfeld hatte sie in all ihren Gedanken und Gefühlen noch einmal bestärkt. Sie wusste, sie war auf dem richtigen Weg.
Müde und nachdenklich saß Carlo mit dem Rücken zum Herd vor seinem leeren Teller. Als er Sandra sah, fand er die Kraft für ein freundliches Lächeln. Sein interessantes Gesicht legte sich in Falten, und seine tiefliegenden Augen sogen sie auf, ohne dass ihm das bewusst war. »Geht’s ihm wieder besser?«, fragte er.
»Besser ja, aber nicht gut. Aber er will mir nicht sagen, was er wirklich hat.«
»Ein sturer Bock ist das.«
Ohne Carlo vorzuwarnen, setzte sie sich auf seinen Schoß und küsste ihn. Anfangs nur kurz, aber als er sich nicht beschwerte, dazu war er viel zu überwältigt, noch einmal, und noch einmal umso länger und intensiver. Sie fühlte sich unglaublich wohl mit diesem schrulligen, liebevollen Bayern, egal ob es nun der beste Zeitpunkt war oder nicht. Kichernd fuhr sie mit ihrem Finger über seine Lippen und zeichnete sie nach. In seinem Gesicht gab es so erstaunlich viel zu entdecken. Es erzählte so viele Geschichten, auch wenn er kein Weltenbummler war, seine rauhe, männliche Haut schien von einer Weltumseglung gezeichnet oder von einer wochenlangen Wanderung durch die Alpen. Je näher sie Carlo war, desto mehr fühlte sie sich von ihm angezogen. Mit Heikos aalglatter Rasierwasserhaut hatte sie sich schon viel zu lange herumgeschlagen. Und gelangweilt. Heiko hatte die Haut eines Teenagers, Carlo dagegen die eines Mannes. Als sie gestern Tinas Haut liebkost hatte, da war der Unterschied zu Heiko überraschend gering. Als sie dann auf Tinas Drängen hin Carlo zu sich gezogen hatte, da war sie auf einmal ganz
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