Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Ihr gefiel die Stimmung. Manchen mochten die Finsternis und die Stille innen und das Getöse außen unheimlich vorkommen. Dazu die halbwegs fremde Umgebung.
Die Villa war in dieser Nacht alles andere als ein Urlaubsparadies. Elli aber fühlte sich pudelwohl, so wohl, als wäre das hier schon immer ihr Zuhause. Wenn sie an Wiedergeburt glauben würde, dann hätte sie in ihrem früheren Leben genau hier gewohnt und eine glückliche Zeit verlebt. Das hätte ihr durchaus gefallen, so um die vorletzte Jahrhundertwende gelebt zu haben, als sich das Leben noch ausschließlich um die wesentlichen Dinge gedreht hatte. Hatten die Tomaten genug Wasser? War die Wäsche schon trocken? Hatte man ausreichend Vorräte für den Winter? Elli träumte in letzter Zeit immer öfter von einem einfachen unspektakulären Leben, fernab der oberflächlichen, nervösen Hektik des 21. Jahrhunderts.
Sie stand wieder vor Saalfelds Zimmer. Diesmal klopfte sie vorsichtig an die schwere Holztür und wollte gerade wieder gehen, als sie ein neugieriges »Ja bitte?« vernahm.
Saalfeld saß aufrecht und hellwach in seinem Bett. Vor sich hatte er ein Buch, aber es war offensichtlich, dass er nicht wirklich las.
»Ich wollte nicht stören, aber ich habe gesehen, dass bei Ihnen noch Licht brennt, und wollte nur mal kurz …«
»Nachsehen, ob ich noch lebe? Da muss ich Sie enttäuschen. Ich erfreue mich bester Gesundheit.«
»Glückwunsch, das freut mich. Aber heute Nachmittag sah das noch ganz anders aus.«
»Was ist das hier eigentlich für ein Gutmenschenclub? Ständig macht sich jemand um mich Gedanken, anstatt mir einfach meine verdiente Ruhe zu lassen. Ich frage mich, was das soll?«
Elli ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Kein Fieber«, sagte sie trocken. »Sie sind also tatsächlich so ein unfreundlicher Brocken.« Sie drehte sich zur Tür. »Na dann, gute Nacht!« Elli hatte bereits die Hand am Türgriff, als sie hinter sich seine Stimme hörte. »Warten Sie. Sie haben recht. Verzeihen Sie meinen Ton.«
Elli neigte ihren Kopf zur Seite und drehte sich wieder um.
»Setzen Sie sich doch!«, bat Saalfeld sie. »Leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft. Bitte!«
Komischer Kauz, wunderte sich Elli. Sie nahm auf dem Stuhl an seinem Bett Platz.
»Hat das bei Ihnen Methode? Erst sind Sie unfreundlich, und dann zeigen Sie unter Umständen Ihre guten Manieren?«
Kurz hob Saalfeld die Augenbrauen, doch er ließ sich Ellis kritischen Ton gefallen. Er hatte automatisch mehr Respekt vor Elli, die selbst in ihrer Freizeitgarderobe eine beeindruckende Erscheinung war. Waren es bei Sandra die klaren jungen Augen, frisch wie ein Frühlingshimmel, der kindliche Kussmund und das von den Niederlagen des Lebens noch verschonte Puppengesicht gewesen, was ihn in den Bann gezogen hatte, so war es bei Elli dieser alles durchdringende Blick, der sich manchmal unter ihren skeptischen Augenlidern versteckte, und diese elegante Würde ihrer Bewegungen, fast wie bei einer Königin.
»Sie müssen zugeben, dass man für gewöhnlich nicht ein halbes Dutzend Fremde in seinem Ferienhaus antrifft?«, erklärte sich Saalfeld. »Sie mögen auch verstehen, dass sich meine Begeisterung über diesen Umstand in Grenzen hält. Verzeihen Sie mir also nochmals, wenn ich hin und wieder nicht gleich den richtigen Ton getroffen habe. Ich versichere Ihnen, dies ist eigentlich nicht meine Art.«
Elli schmunzelte. »Keine Sorge, ich habe schon Männer mit erschreckenderen Umgangsformen erleben dürfen.«
»Nun, dann bin ich vorerst beruhigt. Diese Bestenliste würde ich nur äußert ungern anführen.«
»Sie sind ja noch ganz schön wach, um nicht zu sagen aufgeweckt.«
Nun lachte Saalfeld sogar kurz. »Nein, senil bin ich noch nicht. Auch leide ich nicht an geistiger Umnachtung. Allerdings stehen die Nacht und ich seit langem auf Kriegsfuß. Als ich noch sehr viel gearbeitet habe, kam mir das durchaus gelegen. Mittlerweile aber denke ich sehnsüchtig an die letzte Nacht zurück, in der es mir vergönnt war, acht Stunden am Stück tief zu schlafen.«
»Woran leiden Sie, wenn ich fragen darf?«, versuchte Elli so unaufdringlich wie möglich zu sein.
Saalfeld allerdings war geübt darin, diese Frage zu übergehen oder als unwichtig abzutun. »Ach, lassen Sie uns doch von etwas Interessanterem reden. Was machen Sie denn in …« er überlegte, »… war es München, ja? Ich habe das Gefühl, dass Sie einen sehr interessanten Beruf haben? Liege ich da
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