Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
kleine Sinnestäuschung, wenn Sie so möchten. Aber mit jedem Satz, den Sie sagen, verfestigt sich das Bild. Selbst die Art, wie Sie Sätze sagen, die Pausen, die Sie setzen, es ist alles so ähnlich. Natürlich nur, wenn Sie nicht berlinern. Sie kam nicht aus Berlin. Tina, als hätte man Sie beide aus dem gleiche Stück Bernstein geformt.«
»Sie müssen schlafen.« Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen. Er tat ihr leid, offensichtlich war er nur noch halb in der Realität.
»Sie denken sicher, ich phantasiere. Ich bin mir im Klaren, dass ich hohes Fieber habe, alles andere wäre überraschend. Aber ich weiß, was ich sehe.«
»Wann haben Sie Claire zuletzt gesehen?« Tina änderte ihre Taktik und wollte nun auf ihn eingehen. Vielleicht half ihm das.
»Vor so langer Zeit, vor über dreißig Jahre. Für sie, für uns habe ich damals diese Villa erworben. Glauben Sie mir, dass ich danach nie wieder eine Frau geliebt habe. Sie war mein verrückter Engel. Claire. Für sie hätte ich sofort mein ganzes Leben geändert.«
»Und wieso …«
»Weil das Leben eben manchmal so spielt. Sie war so eine faszinierende Frau.«
»Was ist aus ihr geworden?« Tina wurde nun neugierig. Es klang nach einer intensiven, aber traurigen Liebesgeschichte. Tina liebte solche Geschichten.
»Kann ich nicht sagen. Wir haben uns nie wieder gesehen. Nur einmal habe ich über Ecken gehört, dass sie wieder nach Düsseldorf gezogen ist. Mehr habe ich nie erfahren, wollte ich auch nicht.«
Plötzlich zog sich Tina abrupt zurück. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Alles begann sich wild zu drehen.
Saalfeld bemerkte das und fragte: »Ist Ihnen nicht gut?«
Doch Tina starrte nur blass vor sich hin.
»Nein, nein, das kann nicht sein! Das kann einfach nicht sein.« Sie betete vor sich hin, als müsste sie sich etwas ausreden.
»Tina?«
»Claire, aus Düsseldorf, Klara aus Düsseldorf, Hohenzollernstraße.«
»Ja, da haben ihre Eltern gewohnt. Woher?« Er machte eine lange Pause.
Tina wurde es eiskalt, denn er rührte sich nicht mehr. Aber sie wagte es nicht, ihm noch näher zu kommen.
Dann sagte er leise: »Sie kennen sie?«
Tina stand langsam auf, um Saalfeld nun doch in die Augen sehen zu können. Diesmal musterte sie sein Gesicht, jeden Zug, jede Falte, jede Wimper.
»Klara Simon ist, war meine Mutter.«
Panik durchzuckte Sandras Körper. Sie war in einen tiefen Schlaf versunken und wachte auf, ohne jedes Gefühl von Zeit. Draußen war es dunkel, und das ganze Haus schien bald vom nicht enden wollenden Regen durchnässt und aufgelöst zu werden. Sie wusste nur, dass sie länger geschlafen hatte als geplant. Eigentlich hatte sie überhaupt nicht richtig schlafen, sondern sich nur kurz ausruhen wollen. Man durfte Saalfeld auf keinen Fall so lange alleine lassen. Das war unverantwortlich. Sie sah auf ihre Uhr und erschrak erneut. Fast eine ganze Stunde hatte sie hier gelegen, während Saalfeld jederzeit wieder in die Bewusstlosigkeit hätte fallen können.
Aus der Küche war Gemurmel zu hören, vom Tonfall her und den Worten, die sie aufschnappte, drehte es sich wohl immer noch um das leidige Geld. Hätten sie es doch nur nie gefunden!
Aber dafür hatte sie jetzt keine Zeit. Sie musste zu Saalfeld. Als sie eintrat, sah sie Tina liebevoll seine Hand halten. Tinas Wärme und Zuneigung zu Saalfeld überraschte Sandra. Auch Saalfeld schien regelrecht gerührt. Was hatte Tina mit ihm gemacht?
»Hallo, ihr beiden. Wie fühlen Sie sich?«
Saalfeld konnte seine Hand kaum heben, dennoch schaffte er es, Tina mit zittriger Hand über die Stirn zu streicheln. Sie schien selig wie ein kleines Mädchen. Was für ein seltsam harmonisches Bild.
»Das ist eine Frage, die sich so einfach nicht beantworten lässt, meine Liebe.« Er wollte noch etwas sagen, doch dann schluckte er, und sein Blick verfinsterte sich wie bei jemandem, der schlagartig spürte, dass er nicht Herr über seinen Körper war. Vom Drang zu husten völlig in Besitz genommen, hob sich sein Brustkorb, doch er konnte die nötige Kraft nicht mehr aufbringen. Und spukte plötzlich Blut.
»Nein!«, schrie Tina.
Sandra versuchte mit Tinas Hilfe, ihn etwas aufzurichten, damit er sich nicht an seinem eigenen Blut verschluckte. Von Tinas Schrei alarmiert, eilten auch die anderen herbei. Sandra wischte Saalfeld, der immer noch Blut hustete, die rote Spucke weg. Kurz sah sie zu den anderen auf, die hilflos und fragend dastanden. Dann sah sie wieder zu
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