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Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Friedmann
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ließ er den Motor aufheulen, schaltete brachial wieder in den Vorwärtsgang. »Festhalten!« Heiko rammte den Baum mit voller Wucht. Ein lauter Rumms, zerspringendes Glas, und das rechte Vorderlicht verabschiedete sich. Beinahe wären sie mit den Köpfen durch die Decke geknallt. Der Baum hatte sich bewegt, um einen ganzen Meter. Zu wenig. Heiko musste einen zweiten Anlauf nehmen. Und einen dritten und einen vierten. Immerhin hatte das linke Vorderlicht jeden weiteren Zusammenprall überlebt, der Rest der Vorderfront allerdings sah aus, als hätte jemand mit einem Vorschlaghammer darauf eingedroschen. Das war es, was Carlo mit schrottreif gemeint hatte. Dennoch, Carlo und Heiko jubelten, als hätten sie soeben Wimbledon gewonnen. Der Baum war aus dem Weg geräumt, und ihr Unimog für Arme ratterte die matschige Auffahrt hinunter.
    Während Anna vom Fenster aus bangend den Ausbruchversuch der beiden verfolgt hatte, zuckte Lutz jedes Mal, wenn der Motor aufheulte und Metall und Glas gegen Holz knallten, resigniert zusammen. Dann klatschte Anna in die Hände und stieß ein lautes »Ja!« hervor. Die beiden hatten zumindest den Anfang geschafft. Aber auch sie wusste, dass sie viele Kilometer durch die Naturkatastrophe fahren mussten. Anna sah zu Saalfeld. Keine Spur der Besserung, im Gegenteil. Anna hatte Angst vor der Nacht und vor dem, was sie mit ihnen vorhatte. Ihr kam ihr eigenes Leben mittlerweile lächerlich vor, ihre oberflächlichen Ziele, ihre rücksichtslosen Pläne für die Zukunft. So konnte sie nicht mehr weiterleben. Sie gab sich ein Versprechen: Wenn sie alle die Nacht überstehen würden, dann würde sie ihr Leben ändern. Ihre Entscheidung, nach London zu gehen, würde sie noch einmal gründlich überdenken. Zwar würde sie Carlo trotzdem verlassen, für alles andere war es zu spät, aber London konnte nicht nur ihren Aufstieg, sondern auch ihren Untergang bedeuten. Mit einem Mal sah sie das glasklar.
    Sandra trat zu ihr. Auch sie schien am Ende ihrer Kräfte. »Haben die beiden es geschafft?«
    »Ja. Fürs Erste.«
    »Kannst du bitte Elli helfen? Ich muss sehen, ob ich nicht irgendwelche Schmerzmittel für ihn finde. Sein Organismus kämpft an zu vielen Fronten gleichzeitig.«
    Wortlos nickte Anna und ging zu Elli.
    Als Sandra kurz darauf in ihrem Koffer nach ihrer kleinen Notapotheke kramte, wurde ihr schwindelig. Sie hielt sich am Stuhl fest und sah sich in ihrem Zimmer um, das ihr mit einem Mal fremd war. Was machte sie hier? Wer hatte sie hierhergebracht? Wozu? Jetzt schoss ihr alles durch den Kopf, alles, was sie gesehen, gespürt und erlebt hatte und was bis jetzt ziellos und ungeordnet in ihm umhergeschwirrt war. Carlo, Heiko, Saalfeld, Elli, nackte Körper, die Sonne, Blut, die Schreie, das Lachen, die neue Lebensfreude und der drängende Tod. Ihr Körper drohte vor Erschöpfung aufzugeben, da fand sie die kleine Dose mit den Schmerztabletten.
    Wieder zurück an Saalfelds Bett, ließ sie sich nichts anmerken. Vielmehr überlegte sie, wie viele Tabletten sie ihm geben durfte? Saalfelds Zustand war so fragil und schwankend, dass selbst eine Tablette zu viel sein konnte. Das Risiko war groß, aber sie war bereit, es einzugehen.
    Elli wurde schlagartig bewusst, dass die Frauen jetzt allein auf sich gestellt waren. Lutz zählte nicht. Er saß zusammengekauert mit Tina in der Ecke, wie ein hilfloser kleiner Junge. Für einen Moment erinnerte Elli sich an das fröhliche, unkonventionelle Pärchen, das vor wenigen Tagen aus dem bunten VW-Bus gestiegen war. Tinas freche Sprüche und er mit dem arroganten Stolz des Nihilisten. Jetzt sah sie zwei vollkommen andere Menschen vor sich. Vorsichtig nahm Elli neben Tina Platz. »Meine Liebe, du bist ja ganz kalt?« Jetzt erst bemerkte Elli, dass Tina zitterte. Zu Lutz sagte sie: »Bitte hol ihr eine Decke.«
    Doch Lutz war zu abwesend.
    »Lutz! Lutz! Hallo!«
    Kurz erschrak er.
    »Eine Decke. Für Tina schnell! Sie friert.«
    Hektisch sprang er auf und war schon verschwunden.
    Elli legte ihren Arm um die schwache Frau. »Mein Mädchen, bald scheint wieder die Sonne. Der Alptraum ist bald vorbei.«
    Tina blieb weiter still.
    »Glaub mir, wir sind alle fertig mit den Nerven. Aber wir halten durch, zusammen«, tröstete Elli sie weiter.
    Mit zwei Decken und zwei Kissen dazu war Lutz wieder zur Stelle. Während die beiden Tina einpackten, senkte diese den Blick und sprach in den Boden. »Mein Vater, Saalfeld ist mein Vater.« Dann fing Tina fürchterlich an zu

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