Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
hatte er eine Bitte, die alle noch mehr verstörte. Er bat darum, kurz mit Elli allein sein zu können.
Allen voran verstand Tina am wenigsten, was passierte. Hatte sie etwas Falsches gesagt oder getan? »Aber …«
Ihr Vater unterbrach sie mit seiner kaum hörbaren Stimme. »Nur kurz, bitte, meine Liebe!«
»Maximal fünf Minuten«, stellte Sandra klar.
Dann war Elli mit Saalfeld allein.
»Ich muss Sie um einen Gefallen bitten«, sagte Saalfeld. Sein Vorhaben verlieh ihm etwas neue Kraft.
Auf der anderen Seite der geschlossenen Tür stand Tina. Die wenigen Minuten waren unerträglich lang. Wieso hatte ihr Vater sie weggeschickt? Er brauchte sie doch, gerade jetzt! Ungeduldig kaute sie auf ihrer Oberlippe herum und starrte auf die Türklinke.
Während Sandra mit geschlossenen Augen neben einer alten, gerahmten Landkarte der Gegend an der Wand lehnte, lief Anna mit einer Zigarette in der Hand die Galerie auf und ab. Keiner sagte etwas.
Aus Saalfelds Zimmer drang kaum ein Geräusch. Nur ein paar Schritte.
Anna sah auf ihre Automatikuhr. Sie war bei zwei Uhr morgens stehengeblieben, das Uhrwerk musste dringend gereinigt werden. Ihre innere Uhr sagte, dass es mindestens schon eine Stunde später war. Sie drehte sich zum Fenster um. »Wenigstens lässt der Regen nach.«
»Ich geh jetzt wieder rein!«, sagte Tina. Im gleichen Moment ging die Tür wieder auf. Mit vorwurfsvollem Blick schob sich Tina an Elli vorbei und stürzte zu ihrem Vater ans Bett. Was auch immer er in diesen wenigen Minuten gemacht hatte, jetzt war er völlig erschöpft. Schwerfällig hob und senkte sich sein Brustkorb, und statt leiser Atemzüge schnitt Tina ein dünnes, wässriges Pfeifen durch die Ohren. »Papa?« Es war so unglaublich seltsam, ihn so zu nennen. Ihr fiel auf, dass sie nicht einmal seinen Vornamen kannte. Oder hatte sie ihn nur vergessen?
Seine rot unterlaufenen Augen öffneten sich leicht, und er drehte seinen Kopf in ihre Richtung. »Meine Kleine … Große!«
Hatte er ein Lächeln auf den Lippen? »Bitte, bitte um alles in der Welt! Wie können wir dir helfen?«, fragte Tina.
Ein schelmisches Lächeln kämpfte sich in seine Mundwinkel, und er sagte: »Rotwein …, ein Glas Rotwein, ja, das würde ich jetzt wahnsinnig gerne trinken!«
Tina drehte sich ungläubig zu den anderen um. Aber da die anderen keine Antwort für sie hatten, sah sie ihren Vater wieder an und sagte: »Ich verspreche dir, Hunderte Rotweinflaschen trinke ich mit dir. Aber erst musst du wieder gesund werden!« Sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten.
Sandra stellte sich hinter sie und legte ihre Arme um sie. Es war eine Geste, die Trost spenden sollte. Dann legte sie Saalfeld wieder neue Tücher auf die Stirn, doch sie wusste, das war nur noch eine Schönheitskorrektur an einem traurigen Bild, das schon längst gemalt war.
Zwar setzten die Schmerzen seinem Körper an mehreren Stellen zu, aber Saalfeld machte trotzdem den Eindruck, als könnten sie ihm nichts mehr anhaben.
Tina weinte immer noch, aber leiser, mehr in sich hinein, und gab ihrem Vater besänftigende Küsse auf die Wange, als sie Elli wieder neben sich spürte.
Ohne große Worte, aber mit einem sanften Lächeln, über das ebenfalls eine Träne lief, reichte Elli Saalfeld ein wertvolles Kristallglas, fast randvoll mit tiefrotem Wein gefüllt.
Mit hauchdünner Stimme freute sich Saalfeld und sagte: »Ooooh der … 98er Rothschild.« Und ließ sich den Wein dann vorsichtig, mit Ellis Hilfe, über die Lippen laufen.
Tina wollte schreien und brüllen, wollte Elli aufhalten, aber sie war wie erstarrt. Ihr Vater sah ihr in die Augen und sagte: »Es ist gut so.«
Plötzlich erschraken sie alle. Ein lautes Schlagen donnerte dumpf durch das Haus. Anna eilte aus dem Zimmer auf die Galerie und sah, wie Lutz den letzten Rest seines Laptops auf dem Treppengeländer zerschlug.
»Verdammt!«, schrie er. Er hasste seine hohlen Worte, seine vielen nutzlosen Seiten. In der gleichen Sekunde sackte er erschöpft auf den Treppenabsatz.
Anna ging wieder zu den anderen ins Zimmer: »Lutz hat seinen Computer zerschlagen?«
Den nächsten Schluck Wein bekam Saalfeld von Tina. Er schien erleichtert, in einer gewissen Weise sogar zufrieden, ja sogar glücklich. Er nahm Tinas Hand und klammerte sich mit einem Blick an sie, den sie nie wieder vergessen würde. Er sagte: »Nach langer Zeit habe ich endlich keine Schmerzen mehr.«
Dann legte sich die Nacht über sie alle, schwarz und zäh wie Öl,
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