Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Friedmann
Vom Netzwerk:
Menschen fragten sich, wo sie später einmal hingingen. Diese Menschen hatten den Vorteil, dass sie zumindest wussten, wo sie herkamen, wer ihre Eltern waren. Sie kannten ihren eigenen Ursprung. Tina hingegen verstand ihr eigenes Ich nur zur Hälfte, kannte nur einen Teil ihrer Herkunft. Sie verstand oft nicht, wer sie war, warum sie überhaupt da war. Oft fühlte sie sich wie hingeschissen. So hart es klang, aber es war die nackte Wahrheit.
    Bis heute war ihre Mutter das Einzige, was sie mit der Welt verband. Und das war ein sehr dünnes Band, denn ihre Mutter hatte genug mit sich selbst zu tun. Ihre Mutter konnte selbst nicht sagen, wo sie hingehörte. Ihre Mutter war heute immer noch die völlig orientierungslose wunderschöne Fee, das verführerische Bücherwürmchen, in das Saalfeld, ihr Vater, sich damals wohl verliebt hatte.
    Tina war schon früh ganz auf sich allein gestellt gewesen. Wie oft hatte sie sich unendlich allein auf dieser Welt gefühlt.
    Und jetzt schenkte ihr das Schicksal endlich ihren Vater, beantwortete ihr die wichtigste Frage ihres Lebens, nur um ihn ihr in der nächsten Sekunde wieder zu entreißen.
    Sie konnte ihre Tränen nicht länger verbergen. Es hatte keinen Sinn. Nichts hatte einen Sinn. Alles, das ganze Leben schien nur ein brutaler Witz, ein zynischer Zufall zu sein.
    Ihr Schluchzen ging den anderen durch Mark und Bein.
    Ihr Vater öffnete wieder die Augen. Er kämpfte. Er musste mit ihr, seiner Tochter, reden. »Ich, … hab es … nie, nie gewusst. … mir so leid.«
    Tina küsste ihn auf die Stirn und sagte: »Is schon gut, Papa!«
    »Ich …, immer«, es fiel ihm so unendlich schwer, selbst ein Wort zu formulieren, »so eine … Tochter wie dich gewünscht, … genauso eine, mein … Leben lang.« Dann schloss er wieder vor Erschöpfung die Augen, aber er war noch bei Bewusstsein.
    Tina nahm auf dem Stuhl neben seinem Bett Platz und streichelte unablässig seine Hand. Saalfeld schien endlich etwas Schlaf zu finden. Wie ein kleines Mädchen legte sie ihren Kopf an seine Schultern. Kurz war sie glücklich, aber ebenso erschöpft und traurig.
    Elli versuchte Tina zu trösten, indem sie ihr zu verstehen gab, dass sie nicht alleine war.
    Sie betrachtete Vater und Tochter, die ein unglaublich friedliches Bild abgaben. Aber sie wusste, dass der Schein mehr als trügerisch war. Sie hoffte inständig, dass ihr Bruder sie alle erlösen würde. Er musste einfach Erfolg haben.
    »Willst du mich umbringen?« Durchnässt bis auf die Knochen, wischte sich Carlo den Schlamm aus dem Gesicht. Er lag mit dem Rücken am Boden, im Dreck, und die Regentropfen schlugen ihm ins Gesicht. Er konnte fühlen, wie es nur wenige Meter hinter ihm weit hinunterging. Der Wind schien ihn regelrecht ins Tal hinabziehen zu wollen.
    »Mit Gefühl! Du Hirsch!«, schrie er und stemmte sich erneut gegen den zerschossenen Kühler. Beim letzten Versuch, den Wagen aus dem Schlammloch zu befreien, hatte sich der Wagen kurz in die richtige Richtung bewegt, doch dann hatte er einen Ruck gemacht und war fast einen halben Meter nach vorne geschossen und hatte Carlo umgeworfen.
    Heiko steckte den Kopf aus dem kleinen Seitenfenster heraus. »Tschuldigung, Tschuldigung!«, schrie er. »Bin abgerutscht. Aber das war gut!«
    »Ja genau! Sehr gut«, fluchte Carlo in sich hinein. Wie der aktuelle Weltmeister im Schlammcatchen drückte Carlo mit seinem ganzen Körpergewicht gegen den braun verschmierten VW-Bus. Gleichzeitig rutschten seine Füße ständig ab, und er musste blind neuen Halt suchen.
    Wieder bewegte sich der Wagen um wenige Zentimeter, dann sprang er ohne Vorwarnung gleich drei Meter rückwärts. Carlo platschte mit voller Wucht Gesicht voraus in den schwimmenden Morast, sein Kopf war direkt in einer Reifenspur gelandet. Bei aller Dramatik ihrer Lage konnte sich Heiko ein befreiendes Lachen nicht verkneifen.
    Auch wenn er finster dreinschaute, auch Carlo war eher erleichtert als erbost. »Das nächste Mal schiebst du«, polterte er.
    Sie waren wieder auf der Straße. Kurz nach der nächsten Kurve war die Straße besser ausgebaut, so dass sie etwas schneller vorankamen. Nur der Motor des abgekämpften, alten VW machte ihnen zunehmend Sorgen. Er schien aus dem letzten Zylinder zu pfeifen, und das laute Rattern war einer Mischung aus Röcheln und Blubbern gewichen.
    »Entweder hat der Baum den Motorblock zerdrückt, oder du warst es«, sagte Heiko. »Ich tippe auf dich.«
    »Es müsst eigentlich nicht mehr weit

Weitere Kostenlose Bücher