Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
zertrümmert. Gemeinsam schleppten sie sich ans Ufer. In Sicherheit fielen sie erschöpft zu Boden und sahen nur noch aus den Augenwinkeln, dass sich der VW-Bus soeben mit einem großen Satz ins Tal verabschiedete.
Kurz dachte Heiko an Lutz, dann an die anderen im Haus. Schließlich drehte er sich, immer noch nach Luft schnappend, zu Carlo. »Danke! Danke, mein Freund!«
Carlo war ebenso am Ende, aber er versuchte aufzustehen. »Passt schon. Komm, wir müssen weiter!« Dabei rutschte er aus und landete wieder auf seinen Knien. Erst als sie sich gegenseitig stützten, konnten sie wieder stehen.
Dann sah Heiko das Licht.
Tina spazierte mit ihrem Vater durch den Garten der Villa. Rechts stützte er sich auf einen Spazierstock, und auf der linken Seite hatte er sich bei seiner Tochter eingehakt. Die aufsteigende Sonne wärmte ihre noch kühlen Wangen, und die Vögel begrüßten begeistert den viel zu selten gesehenen Hausherrn.
Es war dies der schönste Spaziergang, den Tina je erlebt hatte. Auch wenn die Worte ihres Vaters schwach und leise waren, so waren sie nicht minder wärmend. Tina konnte sich keine schönere Stimme vorstellen. Sie beide waren endlich eine Einheit, von nun an unzertrennlich. Wie im Garten Eden präsentierte sich ihnen die Flora, vor allem die Rosen streckten sich ihnen entgegen, gerade so, als wollten sie zuerst gestreichelt werden. Aber in der Luft lag der Duft von tausend Blüten. Und selbst die Kronen der Bäume breiteten sich aus, als wären sie Blumen. Die ganze Natur feierte mit Tina und ihrem Vater diesen unvergesslichen Festtag. Tina wusste nicht nur, wo sie herkam, sondern sie war gleichzeitig endlich angekommen, nach all den Jahren. Sie fand sich im Herzen und der Seele dieses Mannes wieder, der ihr gerade einen väterlichen Kuss auf die Stirn gab. Es war ein Kuss, der alles wiedergutmachte, der ihr sagte, du wirst nie wieder allein sein, denn jetzt bin ich in deiner Welt und du in meiner. Das zerbrochene Amulett hatte seine zweite passende Hälfte gefunden.
Dann musste Saalfeld wieder husten.
Erst leicht, dann immer heftiger, dann so laut, dass es Tina in den Ohren dröhnte, so laut, dass sie schreien wollte.
In diesem Moment spürte sie, wie sie jemand wegzog. Sie öffnete die Augen und wusste sofort, wo sie war. Nicht im Garten, es schien auch keine Sonne. Nein, sie war an der Seite ihres todkranken Vaters eingeschlafen, und nichts, gar nichts, war überstanden. Ganz im Gegenteil. Der Tod machte sich breit. Jetzt wollte Tina erst recht schreien. Aber ihre Lippen waren wie versiegelt vom Salz ihrer Tränen.
Rapide schienen die Schmerzmittel nun wieder ihre Wirkung zu verlieren. Die Gnadenfrist für den betäubten Körper ihres Vaters lief ab, und er wurde erneut gepeinigt. Saalfeld hatte kein bedrohliches Fieber mehr, dennoch schwitzte und zitterte er von Kopf bis Fuß. Sandra legte ihm ein warmes Tuch auf die Stirn und massierte ihm die Schläfen. Vielleicht konnte sie ihm wenigstens so etwas Erleichterung von den Schmerzen verschaffen.
Als würde man so die Zeit unter Druck setzen können, stand Anna am Fenster und fixierte die Auffahrt. Schon zwei-, dreimal hatte sie gedacht, Carlo würde um die Ecke kommen, doch es waren nur Lichtreflexionen gewesen.
Elli war damit beschäftigt, in der Küche neue dampfende Tücher für Sandra aufzuwärmen.
Tina zitterte am ganzen Körper. Sie nahm die Hand ihres Vaters und faltete sie zwischen die ihren. In sich gekauert, hielt sie die Hände vor ihren Mund, gerade so, als würde sie beten.
»Ich gebe ihm noch mal Schmerztabletten, auch wenn sie nicht viel bringen«, sagte Sandra. Es war, als fragte sie Tina um Erlaubnis.
Saalfeld röchelte, schluckte schwer. Er wollte etwas sagen: »Nein, … keine Schmerzmittel mehr!«
Tina sah ihn flehend an. »Ich …«, sie wusste nicht was sie sagen sollte, »… Papa. Bitte!«
Plötzlich stand Lutz neben ihnen. Wie ein Beweisstück hielt er die unbeschrifteten Pillen hoch. Er war sauer. »Was ist mit den Dingern?«, schnaufte Lutz. »Wie viele? Wie viele brauchen Sie davon? Verdammt noch mal!«
Saalfeld war kurz erschrocken, dann wurden seine Augen wieder kleiner. »Keine.«
»Wie? Was soll das heißen?« Seine eigene Hilflosigkeit und diese Antwort machten Lutz aggressiv.
»Reiß dich zusammen!«, fuhr Tina Lutz an. Aber auch sie war verzweifelt. Wieso wollte sich ihr Vater immer noch nicht helfen lassen?
In diesem Moment kam Elli mit heißen Tüchern herein. Als Saalfeld sie sah,
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