Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
die nahezu perfekte Form in den Dingen zu suchen und glücklicherweise manchmal auch zu finden. Oder einfach nur zu bestaunen, wie andere sich dem gleichen kreativen Abenteuer hingaben und welche Spuren sie dabei hinterließen. Schon seit Tausenden von Jahren.
Heutzutage aber war alles nur noch dummer Einheitsbrei, nivelliert und gleichgeschaltet auf dem beinahe untersten Level. Möglichst leicht verdaulich für die breite Masse. Coca-Cola, Hamburger, H&M, Ikea. Jeder aß und trank das Gleiche, wohnte identisch und hatte das Gleiche an. Mehr Planwirtschaft, als es sich die Sowjets je erträumt hatten.
Doch Elli war in Hochstimmung. Sie war gespannt und neugierig auf das, was vor ihr lag, und fest entschlossen, all die Probleme und Enttäuschungen, die sich in München über die Jahre aufgetürmt hatten, hinter sich zu lassen.
Keine Sekunde hatte Carlo gezögert, als Elli ihm gestanden hatte, dass sie alles hingeschmissen habe, Job und Lebenspartner.
»Dann kommst du eben mit uns mit«, hatte er gesagt. »Ab nach Italien!« Das Haus sei groß genug für sie drei. Anna und sie verstünden sich ja eh bestens.
»Außerdem kann ich dann für drei kochen«, hatte er gejubelt.
Die Zeichen standen gut, denn auch am frühen Abend schien die Sonne immer noch bester Laune zu sein. Satt und breit lachte sie vom Himmel, als Anna, Carlo und Elli endlich an ihrem Ziel ankamen.
Souverän rollte der BMW langsam auf die lange Kieseinfahrt des historischen Anwesens, das sich noch etwas weiter oben auf dem Hügel versteckt hielt. Links und rechts spendeten alte Pinien und Platanen etwas Schatten, doch es fiel immer noch genug Licht für die vielen Oleanderbüsche ab, die in voller Blüte den Weg zum Hügel säumten.
Carlo kaute glücklich auf seinem Zigarrenstumpf herum und grinste frech.
»Signorine, la Villa Duchessa! La mia casa se tu casa!«
Anna schmunzelte. »Dein Italienisch wird ja immer besser.«
»Und das schon nach dreißig Jahren«, sagte Elli.
Idyllisch eingebettet zwischen sanften Hügeln, die weiter im Norden zu mächtigen Bergen anwuchsen, erwartete sie ein romantisches Ferienhaus aus der Jahrhundertwende. Stilsicher vereinte es diverse historisierende Elemente unterschiedlicher Epochen zu einem ausgewogenen Ganzen. Nur Haus zu sagen wäre eine Beleidigung gewesen. Vielmehr empfing sie eine Villa, die fast schon ein Palazzo war. Einer, den Palladio, der große Renaissancebaumeister, wohl kaum würdevoller entworfen hätte.
Die tiefstehende Sonne modellierte mit ihrem Licht-und-Schatten-Spiel die schlanken Säulen eines kleinen Portikus. Geniale Harmonie der Kräfte. Seitlich davon bespielten je zwei Reihen eleganter, beinahe raumhoher Fenster im rhythmischen Dreiklang die Fassade. Das Gebäude thronte auf einem relativ groben steinernen Sockel und wurde oben von einem zarten Gesimse eingerahmt. Über allem schwebte schließlich ein leichtes Dach, das durch eine schmale dunkle Fuge vom restlichen Baukörper losgelöst schien und der Villa eine fast fürstlich toskanische Note gab. Der Putz changierte zwischen cremefarben und einem ausgeblichenen Eigelb. Elli konnte sich gar nicht sattsehen. Das, ja, das war Architektur!
Auch Anna war sichtlich beeindruckt. So herrlich, so verwunschen, mit so viel Charakter, das hatte sie nicht erwartet. Bei so was konnte sie sich auf Carlo verlassen, das wusste sie. Die schönen Seiten des Lebens, das war sein Metier. Aber diesmal hatte er sich tatsächlich selbst übertroffen.
Der Kies knarzte unter den breiten Reifen des BMWS. Ein leichtes Lüftchen umschmeichelte sie mit dem inspirierenden Duft eines südländischen Gartens. Carlo konnte das Bouquet der vielen hervorragenden Weine, die sie sich hier gönnen würden, schon schmecken.
Dann kam der Schock.
»Was soll das denn?« Anna traute ihren Augen nicht. »Was macht der denn hier?«
»Wer?« Carlo verstand erst nicht, er war noch halb im Traum. Dann sah auch er den silbernen Audi TT aus Leipzig, der wenige Stunden zuvor Anna so in Rage gebracht hatte. Er parkte funkelnd frech vor ihrem Haus.
»Wir sind ein Volk«, zitierte Elli trocken.
Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte es für einen schlechten Witz gehalten, eine üble Vision oder einen gefährlichen Trip. Heiko fragte sich, ob ihm der holländische Pharmahändler aus dem Internet womöglich aus Versehen die falschen Tabletten geschickt hatte?
Da machte er sich nichts vor, das Deutsch der Holländer war im besten Fall ein absurdes Missverständnis,
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