Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Saalfeld. Leider ist er mein Neffe. Denn er ist leider ein Betrüger und Hochstapler.«
Obwohl sie nun zu acht im Haus waren, herrschte gespenstische Ruhe.
Nachdem klargeworden war, dass die Sachlage sich etwas komplizierter gestaltete, als zunächst von Frieder Saalfeld angenommen, hatte man sich darauf geeinigt, sich kurz frischzumachen und dann das Problem in Ruhe gemeinsam zu lösen.
Das Haus, die Miete, die Mehrfachbelegung, all das war längst unwichtig geworden.
Während in der Villa vorerst etwas Ruhe einkehrte, erwachten die Naturgewalten endgültig. Überall donnerte es ohne Unterlass, und die ersten dicken Regentropfen platzten hart auf den verkrusteten Boden.
Während Carlo sich in seine Küche verkrochen hatte, war Anna auf ihr Zimmer gegangen, deprimiert und enttäuscht von sich und ihren Entgleisungen der Nacht. Sie hatte ihre dunkle Seite offenbart, hemmungslos und ohne Rücksicht auf Verluste. Sie hatte vor Carlos Augen gekokst und es dann mit diesem Heiko getrieben. Sie war fassungslos. Die Wahrheit war brutaler und deutlicher ans Licht gekommen, als sie es jemals, selbst in ihren finstersten Träumen, für möglich gehalten hätte. Anna stand unter der Dusche und ließ unentwegt heißes Wasser über sich laufen, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Sie wollte sich reinwaschen. Aber so einfach war das nicht, das wusste sie.
Auch Carlo hatte sich gehenlassen, hatte sich sogar mit Tina und Sandra herumgewälzt, wahrscheinlich hatte er mit ihnen geschlafen. Aber das machte ihr Verhalten um keinen Deut besser. Seit über einer Stunde war sie schon im Bad und fühlte sich keine Spur reiner. Ihr Körper, ihre Seele waren vergiftet. Letzte Nacht war es ihr so egal gewesen, irgendwie hatte es sie sogar angestachelt, Carlo so zwischen den beiden anderen Frauen zu sehen. Sie verspürte weder Liebe noch Moral, nur die pure Lust am Tabubruch. Dieser verfluchte Urlaub, dieses Haus, die anderen, alles hatte sich verändert. Sie hätte nie mitkommen sollen.
Anna war nicht die Einzige, die schwer von sich enttäuscht war.
Im Zimmer von Tina und Lutz herrschte ebenfalls Sprachlosigkeit. So lebendig Tina letzte Nacht noch umhergeschwirrt war, so still saß sie jetzt im Schneidersitz in dem Lesesessel, rauchte zur Abwechslung einen Joint und starrte aus dem Fenster. Der Garten war kaum noch zu erkennen, er drohte in dem heftigen Regen zu ertrinken. Die Fenster waren beschlagen. Es war kalt geworden. Sie fror wie an einem Kreuzberger Wintertag.
Lutz lag auf dem Bett und fixierte hochkonzentriert die Decke. Zwar war er die Eskapaden seiner liebestollen Freundin schon gewohnt, aber auch er spürte, dass sie alle letzte Nacht sehr weit gegangen waren. Manche sehr wahrscheinlich weiter, als sie es würden ertragen können. Aber das war nicht wirklich seine Sorge, die anderen waren die anderen. Und Tina? Sie war auch nur noch Tina. Sie hatte ihn gestern eher genervt, wie sie das in letzter Zeit überhaupt immer öfter tat. Er brauchte sie nicht mehr, denn sie verstand ihn nicht. Er interessierte sie nicht. Sie wollte ihn nicht. Längst hatten sie sich meilenweit voneinander entfernt. Sie interessierte sich immer mehr für Spielereien mit anderen Frauen oder, noch banaler, nur für materiellen Quatsch. Ihn beschäftigten ganz andere Dinge. Sein Kopf drohte manchmal zu explodieren, so viel ging darin vor. Umso mehr hatte er es gestern genossen, frei zu sein. Diese unbeschreibliche Freiheit! Er war immer noch ganz aufgeladen von der Energie, die er beim Tanzen in sich aufgesogen hatte, nackt und entfesselt.
Den anderen mochte die letzte Nacht Angst machen, für ihn war sie ein einziger Befreiungsschlag gewesen. Lutz schmunzelte, denn er konnte Heikos Schritte hören, die nervös und ziellos auf und ab tippelten.
Und in der Tat, Heiko war noch nie so orientierungslos gewesen wie an diesem Vormittag. Nervös zu sein, eine gewisse innere Unruhe zu verspüren, das war für Heiko kein neuer Zustand. Es war ein Teil seines Grundbefindens. Was er allerdings jetzt verspürte oder vielmehr durchmachte, das hatte damit nichts zu tun. Nein, das war eine verdammte Premiere. Er hatte komplett den Boden unter den Füßen verloren, ihm war, als hätte er ein halbes Jahr keinen Schlaf gefunden, sein Ich bestand nur noch aus einer dünnen Hülle ohne Inhalt, wie ein ausgelöffeltes Frühstücksei, ja genau das war er.
Eine einzige Nacht hatte endgültig alles in Frage gestellt. Ohne Vorwarnung war er, waren sie alle,
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