Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Hand hielt er ein marineblau schimmerndes Seidentuch, und darin funkelte ein kleiner Verlobungsring, ohne Diamant. Diamanten waren reine Geschäftemacherei. Liebe konnte man sich nicht erkaufen. Mit Abscheu betrachtete er ein letztes Mal das polierte Silberstück und ließ es dann in den Aschenbecher fallen. Was für ein Narr er war. Nie wieder im Leben würde er so einen Ring kaufen, so viel stand fest.
Plötzlich schlug sein Herz schneller, es raste, denn jemand kam zum Auto gerannt, schemenhaft, und riss die Beifahrertür auf. Sandra?
»Toller Lärm!«, sagte Lutz zynisch und stieg, ohne zu fragen, ein.
»Spinnst du? Was willst du hier?«
»Jetzt spiel mal nicht die Drama Queen, ja?«
In dem Maße, wie aus Heiko die Lebensfreude entwichen war, schien sie in Lutz ein prächtiges Zuhause gefunden zu haben.
»Wir sitzen in einem Boot!«, erklärte Lutz und machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem.
»Boot? Du sitzt in meinem Auto. Raus! Verschwinde!«, zischte Heiko.
»Is ja gut. Immerhin hat deine Frau mit meiner ne Nummer geschoben. Das verbindet, findest du nicht?« Lutz lächelte ihn lässig an, so als wären sie alte Kumpels.
»Du bist echt krank!« Heiko erkannte ihn nicht wieder. Der Typ war in einer Laune, als wäre er gerade Weltmeister geworden.
»Meine Güte, du bist ein Spießer. Wundert mich aber nicht. Hey, schon mal was von Sex and the City gehört? Danach leben die jetzt alle. Willkommen im 21. Jahrhundert! Darfst du nicht persönlich nehmen.«
Das war das Letzte, was Heiko jetzt hören wollte.
»Und Carlo? Die lesbische Nummer ist das eine, damit könnte ich vielleicht noch leben. Aber Carlo? Mit dem Fettsack. Sag mal, hast du sie noch alle?«
»Das nennt man Emanzipation. Schon mal davon gehört? Also, wie war sie denn, die wilde Anna, Frau Vorstand?«
Jetzt erst rief sich Heiko den Sex mit Anna wieder ins Gedächtnis, oder besser ihren Sex mit ihm, denn viel hatte er da nicht zu sagen gehabt. Sandra, Anna – Heiko war völlig überfordert. »Deine Sprüche, das ist das Allerletzte, was ich jetzt brauche!«
»Das hatte ganz schön Feuer, was ihr da veranstaltet habt.«
Heiko drohte ihm hilflos mit der Faust. »Halt einfach die Klappe sonst …«
»Sonst? Das, also das, Gewalt ja, die macht dich auch nicht freier. Bitte! Kannst mir gerne eine zimmern. Ist mir schon öfter passiert. Aber nachher fühlst du dich genauso beschissen wie vorher. Das garantier ich dir.«
»Mann, du redest echt so viel Müll. Ich fass es nicht.« Heiko rieb sich die Stirn. »Und dass Tina es mit Carlo getrieben hat, das ist dir ganz schnurz, ja? Weil, das macht ihr ja immer so. Ganz normal in Berlin, da bumst ja jeder jeden. Wilde zwanziger Jahre und so. Mann, verarsch mich doch nicht!«
Heiko war wirklich mitgenommen, das kapierte Lutz langsam.
Der Regen wurde noch einmal eine Spur heftiger, rasselte mit tosendem Lärm auf das Blechdach. Lutz beugte sich vor und wischte mit seinem Hemdsärmel ein Loch in die Nebelwand. Im selben Moment klatschte der Wind einen Ast gegen die Scheibe, und die beiden Männer schreckten zusammen.
Lutz schlug einen versöhnlicheren Ton an: »Scheiß Verlustängste. Vergiss das. Je mehr du dich an Frauen klammerst, desto weniger bekommst du sie.«
»Pass mal auf, Sportsfreund«, unterbrach ihn Heiko.
Doch Lutz war noch nicht fertig. »Jetzt lass mal die blöde Sportsfreundnummer und hör mir ausnahmsweise mal zu! Was du brauchst, Bestätigung, Liebe und so, Mann, das musst du dir zuerst mal selber gönnen. Sei zur Abwechslung mal ehrlich zu dir. Schließ zuerst Frieden mit dir selbst. Alles andere, die Liebe von Sandra, oder ner anderen, die kommt später dazu. Als Sahne obendrauf. Verstehst du, was ich meine?«
Normalerweise stellte es Heiko bei solchen Sätzen die Haare auf. Frauengefasel. Umso überraschender war deshalb, dass er nachdenklich wurde.
Lutz fuhr fort: »Klingt abgedroschen, aber es ist nun mal wahr. Erst musst du dich selber lieben! Das ist die Grundvoraussetzung. Dann erst hast du überhaupt die Kraft, den Wahnsinn da draußen mitzumachen.«
Zum ersten Mal wurde Heiko klar, dass es Lutz wahrscheinlich auch nicht viel anders ging als ihm selbst. Er verstand ihn. Lutz war mit einem Mal kein lästiges Hindernis mehr, kein Freak von einem anderen Planeten, sondern ein Kumpel, der im gleichen leckgeschlagenen Boot saß wie er. Nur, dass Lutz plötzlich viel stärker zu sein schien.
Mit immer noch einfühlsamer Stimme sagte Lutz: »Okay, deine große
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