Flaschendrehen: Roman (German Edition)
endlich für mich zu haben.
So schnell konnte ich die Tür gar nicht hinter mir schließen, wie Clemens über mich herfiel. Wie war Rudis Rat gewesen? Er muss immer ein wenig hungrig nach dir sein? Auf einer Skala von null bis zehn – von satt bis ausgehungert – stünde Clemens kurz vor der Zwangsernährung.
Nur ein Kuss, eine Berührung von ihm reichten aus, um mich sofort wieder lebendig, unbezwingbar und begehrenswert zu fühlen.
»Lass uns heute Abend ausgehen. Ich hol dich um acht ab, einverstanden?«
Na und ob ich einverstanden war! Aufgetankt und mit Dauergrinsen trat ich auf den Flur und rannte Marion beinahe um, die mich ansah und fragte, ob ich gerade eine Gehaltserhöhung bekommen hätte?
»So was Ähnliches«, antwortete ich, aber sie fragte nicht genauer nach. Überhaupt interessierte sich niemand für die Zeit, die Clemens und ich in Venedig verbracht hatten. Von Michi oder Diane hätte ich auf alle Fälle Fragen oder Kommentare erwartet, aber nichts dergleichen geschah. Sollte der Himmel mich erhört haben und alle Frauen ihr Interesse an Clemens auf einen Schlag verloren haben?
Der Auftritt am Morgen sprach dagegen. Alle hatten sie wieder an seinen Lippen geklebt, ihn mit Blicken verfolgt, Augenkontakt gesucht, gelacht, wenn er was sagte, und sich ständig die Haare zurechtgezupft, ein untrügliches Zeichen. Michi wollte Clemens bei der Buchmesse unbedingt gefallen, und Diane ließ sich den Busen bestimmt nicht nur aufpumpen, um nächsten Sommer in Saint Tropez eine bessere Figur zu machen, nein, das Interesse an Clemens war ungebrochen. Was also hatte sich verändert?
Die einzige Erklärung konnte und musste sein, dass sie mich nicht mehr als Konkurrenz sahen. Aber warum? Ich hatte nicht zugenommen, meine Frisur nicht geändert, war meinem Stil treu geblieben, verhielt mich wie immer, zumindest dachte ich das.
Obwohl, wenn ich es mir richtig überlegte, sprach ich immer weniger über Clemens, schon allein um mich nicht zu verplappern. Vielleicht war das die Erklärung.
Ich ging zurück an meinen Platz, wo Michi schon aufgekratzt alle Unterlagen für die Buchmesse zusammenpackte.
»Oh, es wird großartig werden, ich spür es genau! Clemens und ich allein unterwegs!« Sie kicherte vor sich hin und fuhr ekstatisch über ihre Unterlagen, die sie in Klarsichtfolien gesteckt hatte.
Genau! Allein mit Millionen Besuchern, Verlagen, Agenten und Schriftstellern in der Traum- und Messestadt Frankfurt.
»Sag mal, Michi, hat es dich denn überhaupt nicht gestört, dass ich mit Clemens alleine in Venedig war?« Ich wollte wissen, weshalb ich in ihren Augen aus dem Spiel war.
Sie hielt inne und sah mich erstaunt an.
»Nein, wieso? Seit ich weiß, dass du schon immer hinter Ben her warst und dich nie ein anderer interessiert hat oder interessieren wird, ist mir das völlig egal.«
Im selben Moment merkte sie, dass der Satz unfreundlicher klang, als er gemeint war, und schickte beschwichtigend hinterher:
»Also ich hoffe natürlich, dass Ben sich irgendwann auch für dich entscheidet, diese Liv ist ja eher unangenehm, und nur weil die wie ein Model aussieht, solltest du die Hoffnung nicht aufgeben.«
Den Modelvergleich mit Liv fand ich nicht unbedingt geglückt, aber ich verstand, dass Michi es gut meinte und nur versuchte, mich zu trösten. Was ich allerdings nicht verstand, war, wie um alles in der Welt sie davon erfahren hatte, dass ich früher mal in Ben verliebt gewesen war, und was sie zu der Annahme brachte, dass ich ihn immer noch wollte.
Eigentlich die perfekte Tarnung, grinste ich in mich hinein.
»Woher weißt du das mit Ben und mir? Ich hab das niemandem erzählt!«
Michi sah mich mitfühlend an und strich mir beruhigend über die Hand.
Sie klärte mich auf, dass ich das auch nicht musste, denn anscheinend hatte Liv sich auf meiner Einweihungsparty netterweise schon selbst darum gekümmert, und nach dem seltsamen Vorfall beim Flaschendrehen, als Ben mich nicht geküsst hatte, musste sie jedem von meiner lang gehegten und verschmähten Liebe erzählt haben.
Wie rührend!
»Wir waren uns nicht sicher, ob das so stimmt, schließlich hast du Clemens ziemlich angehimmelt, ich meine, das ist jedem hier aufgefallen. Diane hatte befürchtet, Clemens könnte auf dich oder Sarah stehen, aber als deine Mutter ihr versichert hat, dass die Geschichte mit Ben stimmt und du, seitdem du zwölf bist, für ihn schwärmst, waren wir beruhigt.«
Ich wusste nicht, was ich schlimmer finden sollte,
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