Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Morgen mit dem ersten Flieger aus Wien gelandet, gleich in die Redaktion gefahren, wo er, bevor wir uns heimlich in die Arme fallen konnten, von Feline abgepasst wurde, um die eben erschienene erste Ausgabe von Zeitgeist zu diskutieren. Gleich im Anschluss an das Gespräch war die Redaktionssitzung einberufen worden, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als ihm gemeinsam mit seinen anderen Verehrerinnen sehnsüchtige Blicke zuzuwerfen und zu warten, bis wir einen Moment allein sein konnten.
Clemens’ Rückkehr hatte geradezu groteske Blüten hervorgerufen, was das Styling meiner Kolleginnen anging. Wenn sich an diesem Morgen jemand ahnungslos in unsere Redaktion verirrt hätte, würde er denken, bei der Vogue oder Harper’s Bazaar gelandet zu sein, zumindest war es eher unüblich, an einem gewöhnlichen Donnerstagmorgen ausgehfertige laufstegtaugliche Outfits samt Komplett-Make-up zu sehen. Zum Glück hatte ich selbst es nicht übertrieben mit der Aufmachung.
Den Vogel schoss, abgesehen von Diane in einem schwarzen Paillettenvampoberteil mit gewagtem Dekolletee, das sie bestimmt schon für die Zeit nach ihrer Busenoperation gekauft hatte, natürlich wieder einmal Michi ab.
Nachdem sie ihre »Designerfreundin« Anna nicht mehr die Klamotten aussuchen ließ, hatte ich Hoffnung geschöpft, Michi würde wieder zu ihrem dezenteren Stil zurückfinden.
Weit gefehlt! Anscheinend waren Annas Ideen nur die Initialzündung zu dem gewesen, was in Michi schon länger geschlummert haben musste: der Hang zum exzentrischen Exhibitionismus. Anders ließ sich zumindest ihr weißes transparentes Oberteil, das freie Sicht auf ihren fast nackten Busen gewährte, nicht erklären.
Wieder einmal lernen wir daraus, dass das, was auf dem Laufsteg an Topmodels während einer Bühnenschau und in der Theorie gut aussieht, in der alltäglichen Praxis nicht ohne weiteres ebensolche Hingucker bieten muss. Feline, die für ihre Stilsicherheit bekannt war, schaute dementsprechend indigniert auf Michis Oberteil, wurde aber sogleich von Dianes Glitzerlook abgelenkt. Ob Feline durchschaute, was hier gespielt wurde? Ahnte sie überhaupt, dass ihr Chefredakteur und Retter des maroden Blattes gleichzeitig in den Fantasien der weiblichen Belegschaft herumgeisterte?
Feline bemerkte auf alle Fälle, dass ich in Gedanken gerade irgendwo war, aber nicht dort, wo ich sein sollte, und sprach mich direkt an.
»Deine Meinung würde mich interessieren. Wie findest du Zeitgeist? Gelungen? Desaströs?«
Schnell sammelte ich mich und gab meine Einschätzung wahrheitsgetreu wieder, die da lautete, dass wir es mit wirklicher Konkurrenz zu tun hatten. Das Layout, die Aufmachung waren gut gemacht, die Themen durchaus interessant ausgewählt, nur in der Ausführung zu steif und gewöhnlich.
Das Überraschende fehlte mir, das Blatt war eher traditionell aufbereitet, eine Schwäche, die eindeutig auf Ilona Richters Mitarbeiter zurückzuführen war. Denn die waren es, die die Artikel mit Leben, Witz, Anregungen füllen mussten, auch wenn die Verpackung noch so gelungen war.
Genau das schien Ilona Richter erkannt zu haben, sonst würde sie nicht so krampfhaft an mir baggern und bestimmt auch andere, von denen ich nichts wusste, versuchen abzuwerben. Diesen Gedanken formulierte ich natürlich diplomatischer.
»Zusammengefasst würde ich sagen, sie sind auf dem richtigen Weg, was Themen und Aufmachung angeht, inhaltlich weit von uns entfernt, zumindest noch! Wir wissen alle, was passiert, wenn sie sich die richtigen Leute ins Boot holt.«
Feline hatte mir aufmerksam zugehört und nickte.
»Ich gebe dir Recht. Zum Glück sind gute Autoren seltener, als man denkt, aber ich sehe auch im Inhalt unsere Stärke. Wir müssen schauen, dass wir unsere Originalität und Kreativität mit Texten umzugehen weiter ausbauen und die Leser damit an uns binden.«
Genau, aber noch wichtiger war mir im Moment, Clemens weiter an mich zu binden, und das ging nur, wenn dieses Meeting bald zu Ende war und wir endlich allein sein konnten.
Feline beendete die Sitzung, wir konnten sowieso nichts anderes machen, als abzuwarten, wie hoch die Abnahmezahlen von Zeitgeist sein würden – und das würde noch ein paar Tage dauern, bis sich ein Trend abzeichnete.
Clemens machte mir ein Zeichen, in sein Büro zu kommen, was nicht nötig gewesen wäre, ich würde sogar die Tür mit meinen Zähnen aufhebeln, wenn erwünscht und nötig, nichts, aber rein gar nichts, würde mich abhalten, ihn
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