Flaschendrehen: Roman (German Edition)
besonders toll, denn erstens war das Motto super, nämlich »Großes Kino«, zweitens fand dieses Kostümfest standesgerecht im Colombi, einem alten kleinen Theater mit großem Ballsaal statt und, last but not least , war es Clemens’ Geburtstag, dem wir die Idee zu verdanken hatten. Er wurde am 18. Oktober vierzig, ein Alter, in dem andere Männer schon ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt und ein Kind gezeugt hatten, während Clemens der Kindskopf immer noch Flausen und tausend Ideen im Kopf hatte und im Traum nicht daran dachte, sesshaft zu werden – leider, denn momentan war ich die Leidtragende. Vor lauter Arbeit, Reisen, Messen, Interviews und dem massiven Druck, den Abstand zur Zeitgeist auszubauen, rieb der Gute sich so sehr auf, dass ich ihn kaum noch zu Gesicht bekam. Wenn er zwischen Flughafen und Büro einen freien Abend hatte, sah man ihm die viele Arbeit förmlich an. Zwar beklagte er sich nie und versuchte, den Stress außen vor zu lassen, aber es kam häufiger vor, dass er einfach am Tisch einschlief, so hart schuftete er. Uns anderen in der Redaktion ging es nicht viel besser, es gab kaum einen Abend, an dem ich vor neun rauskam, Wochenenden oft eingeschlossen. Wenn ich meinen Job nicht so sehr geliebt und nicht gewusst hätte, warum und für wen ich das machte, nämlich für Clemens und Feline, ich weiß nicht, ob ich diesen Einsatz so lange gebracht hätte. Einziger Trost war wie so oft in der jüngsten Vergangenheit die Gewissheit, dass dieser Wahnsinn zeitlich begrenzt war und ich ab Januar frei sein würde, frei, was meine Arbeit anging, denn Clemens hatte die geniale Idee gehabt, ich könnte weiter als Freie für die Phosphor schreiben, aber eben ohne ihn als Chef zu haben und täglich in einem Büro zu sitzen.
»Was hältst du davon, wenn ich als Marilyn Monroe gehe und ihm in JFK -Manier ein Happy-Birthday-Ständchen bringe?«, rief ich Leila zu, die mich nach dem üblichen samstäglichen Ansturm auf ihren kleinen, aber feinen Designerladen eingeladen hatte, in übrig gebliebenen Stoffen zu wühlen, um mich für Clemens’ Mottoparty inspirieren zu lassen. Als Clemens’ geheime Freundin durfte ich Extrawurst-Leila mitbringen, die auch eine der wenigen war, die ein Faible für Kostüme hatte – schließlich war sie auch Designerin.
»Abgedroschen, zu oft kopiert und nichts für dich«, kam ihr ehrlicher Kommentar.
All das wollte ich natürlich nicht sein, vor allem nicht an Clemens’ großem Ehrentag. Überrascht und vor allem enttäuscht war ich schon gewesen, als er mir seine Pläne für den Geburtstag mitgeteilt hatte, denn eigentlich hatte ich gehofft, dass er sich mit mir aus dem Staub machen und für ein Wochenende irgendwo in den Süden absetzen wollte oder auch nach Paris. Stattdessen rief Clemens die Party des Jahres aus und lud die gesamte Redaktion und andere Bekannte aus der Branche ein. Mit einem persönlichen Geburtstag hatte es nicht mehr viel gemein, doch Clemens erklärte, dass er vorhatte, die Redaktion für all die Strapazen und Überstunden ein wenig zu entschädigen, es wäre mal wieder an der Zeit, dass alle gemeinsam Spaß hatten, und bis zur Weihnachtsfeier sei es ja noch hin. Privat wollte er im Sommer mit Freunden, Familie und mir nachfeiern, was mich ein klein wenig milder stimmte.
Jetzt musste ich nur noch das perfekte Kostüm finden, gerade von mir als Filmexpertin wurde bestimmt etwas Ausgefallenes erwartet, zumal in der Redaktion die Vorbereitungen schon auf Hochtouren liefen und alle Feuer und Flamme waren, aber jeder ein Geheimnis daraus machte, welche Filmrolle er sich ausgesucht hatte. Ich sah uns schon auf der Party alle als Vom Winde verweht -Scarlett-Doubles aufschlagen.
Michi sprach von nichts anderem mehr, ach doch, ein anderes Thema gab es, ihr gemeinsamer Besuch mit Clemens bei der Buchmesse. Anfangs hatte ich interessiert gelächelt, wenn sie bei jedem alltäglichen Handgriff einen Kommentar verlauten ließ, der garantiert mit der Messe zu tun hatte. Wenn sie Kaffee trank, sagte sie: »Hach, der Kaffee auf der Buchmesse schmeckte vielleicht übel. Clemens und ich haben dann nur noch Tee getrunken.« Wenn sie ein neues Buch besprechen musste, raunte sie: »Der Autor ist unglaublich toll, Clemens und ich haben ihn auf der Messe kennen gelernt«, fehlte nur, dass sie aufs Klo ging, um uns mitzuteilen, dass das Toilettenpapier auf der Buchmesse dreilagig und mit Muster bedruckt gewesen war. »Clemens und ich« war Michis geflügeltes Wort
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