Flaschendrehen: Roman (German Edition)
und ich glaube, aus dieser Unsicherheit heraus habe ich viele Dinge falsch interpretiert, auch was dich angeht. Ben hat mir noch nie gesagt, dass er mich liebt. Ich habe mich sogar erniedrigt und ihn gefragt, ob er mich liebt, weil er nie etwas antwortet, wenn ich es sage. Weißt du, was er gesagt hat?«
Ich schüttelte den Kopf, musste aber zugeben, dass ich vor Neugierde platzte.
»Er sagte, ob ich das denn nicht spüren würde, seine Taten würden die Antwort von allein geben. Außerdem hat er gesagt, dass alles Elend immer damit anfängt, wenn man ›Ich liebe dich‹ sagt. Er meint, ab dem Moment sei man unfrei, würde Erwartungen und Fantasien wecken, die meistens bei einer gemeinsamen Haftpflichtversicherung und einem Smart als Zweitwagen enden würden.«
Ja, diese Antwort wünschte sich einfach jede Frau anstatt einer altmodischen Liebeserklärung. Ben grübelte einfach zu viel, anstatt sich mal fallen zu lassen, nur zu fühlen und zu leben. So stark und selbstbewusst er auch wirkte und so belastbar er war, wusste ich doch, dass ihn öfter Ängste quälten und er phasenweise Xanax nahm, wenn er mal wieder schlaflose Nächte verbrachte. Eigentlich war er einfach nur sensibel, und das versuchte ich, Liv zu erklären.
»Übrigens, ich bin überzeugt, dass Ben im Grunde seines Herzens ein unverbesserlicher Romantiker ist, zumindest kenne ich keinen anderen Mann, der selbst gebrannte melancholische Compilations und Bücher verschenkt, die er teilen möchte. Ich habe immer vermutet, dass er mal so sehr verletzt wurde, dass er seither mit angezogener Handbremse lebt und vermeidet, Gefühle zu zeigen. Rudi hat mal in einem Nebensatz erwähnt, dass Ben lange an seiner ersten Freundin hing, die mit ihren Eltern weggezogen ist. Was da genau war, weiß ich allerdings nicht!«
Liv hingegen wohl schon. Sie stöhnte entnervt und verdrehte die Augen.
»Isabella, seine erste große Liebe! Ben ist geradezu besessen von ihr bzw. der ersten Liebe an sich. Eine seiner Theorien ist, dass man sich nur einmal richtig verliebt, und das beim ersten Mal. Alle anderen Lieben sind nur Replikationen und der Versuch, das, was man bei dieser ersten Liebe gespürt hat, wieder zu finden, was aber nicht möglich ist, da die erste Liebe rein und unschuldig ist und noch nichts von Schmerz, Enttäuschung und ihrer Endlichkeit weiß.«
Wie mir schien, war das Thema nicht neu für Liv, sie konnte die Theorie beinahe auswendig runterbeten. Für mich klang das nur nach einem weiteren Schutzschild von Ben. Indem er die Vergangenheit verklärte, musste er sich in der Gegenwart nicht öffnen.
Trotz all dieser Ansichten, trotz seiner komplizierten Gedanken war Ben ein besonderer Mann, klug, schlagfertig, geheimnisvoll und sehr sinnlich. Obwohl ich seit Clemens genug Abstand zu Ben hatte, war es nicht schwer nachzuvollziehen, weshalb Liv von Ben fasziniert war und seine Marotten mitmachte.
»Weißt du, aber ich glaube, dass du eigentlich mit Ben glücklich bist oder er es zumindest wert ist«, formulierte ich meine Gedanken.
Sie lächelte.
»Sagen wir so, wenn er dir plötzlich näher kommt, dich unvorbereitet küsst, berührt und will, ist es das beste Gefühl, das es gibt, das geht so tief … und dafür bin ich bereit, einiges in Kauf zu nehmen.«
Gut, ihre Prioritäten schienen eher auf den sinnlichen Ben gerichtet zu sein, den Denker nahm sie wohl eher in Kauf.
Zum Glück war ich verbandelt, wenn ich noch in Ben verliebt gewesen wäre, hätte mich dieses Statement ins Grab gebracht, denn wenn man etwas nicht hören wollte, dann dass das angehimmelte Objekt der Begierde begnadet im Bett zu sein scheint.
Liv bestellte uns beiden noch Kaffee nach. Auch wenn sie kaum innerhalb eines Tages eine Freundin werden würde, so war es zumindest ein Anfang. Die Aussprache hatte die aufgestauten Spannungen verschwinden lassen, zum ersten Mal sah sie mich nicht mehr als Gefahr und ich sie nicht nur als Bens nervende Freundin.
Beim Verlassen der Nationalgalerie fiel mir ein, was ich sie fragen wollte.
»Du, und wenn ich als Ingrid Bergmann auf das Kostümfest gehe?«
Liv im Zeichen unserer neu gewonnenen Offenheit zeigte mir den Vogel.
Gut, war ja nur so ’ne Idee gewesen.
»Mist, ich hab nur noch ’ne Viertelstunde, bis Rudi uns abholt, das schaffe ich nie!«, rief ich Leila vom oberen Treppenabsatz zu, die bereits gemeinsam mit Mimi im Treppenhaus auf mich wartete. Mimi war verrückt nach Verkleidungen und durfte deshalb ausnahmsweise auch
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