Flaschendrehen: Roman (German Edition)
hingen, aber nie ausgesprochen wurden.
Anscheinend lief es gut, ziemlich gut sogar, Liv sei viel entspannter, seit die Situation mit mir geklärt sei, allerdings wolle sie immer noch, dass er endlich »Ich liebe dich« zu ihr sagte, was ich nur zu gut nachvollziehen konnte.
»Das ist doch nichts Abartiges oder Ungewöhnliches, was sie sich von dir wünscht. Warum kannst du es ihr denn nicht einfach sagen?«
Ben überlegte einen kurzen Moment, dann setzte er zu einer Erklärung an.
»Weil ich es nicht so empfinde. Ich hab sie sehr, sehr gern, und auf eine gewisse Weise liebe ich sie auch, aber nicht so, wie sie es sich wünscht, und das weiß sie auch. Ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt und nichts versprochen oder vorgegaukelt, und sie hat es akzeptiert. Natürlich gibt es Momente, in denen sie sich mehr erhofft oder wünscht, aber ich kann ihr das nicht geben, es wäre gelogen, ein ›Ich liebe dich‹ hat für mich zu viel Bedeutung. Es weckt Erwartungen, es ist ein Versprechen.«
So genau wollte ich es gar nicht wissen … und Liv bestimmt auch nicht. Die Gute musste Nerven haben, so am ausgestreckten Arm zu verhungern. Vielleicht war es für Ben doch das Beste, wenn er allein blieb und sich in seiner Musik, Büchern und Filmen vergrub.
»Was ist mit dir? Bist du glücklich mit Clemens?«, fragte er interessiert.
Wahrheitsgemäß antwortete ich.
»Im Prinzip ja, momentan holpert es nur ein wenig. Weißt du, er versetzt mich in einen Rausch, wenn er um mich ist, seine Begeisterung, sein Feuer, sein Witz, das alles ist so mitreißend, einfach großes Kino. Klingt wie eine Sucht, nicht? So ähnlich fühlt es sich auch an, und wenn ich nicht genug von ihm bekomme, bin ich wie ein Junkie auf Entzug, was momentan leider der Fall ist. Ich habe das Gefühl, dass ich ihn mehr brauche als er mich.«
Ben sah mich nachdenklich an.
»Woher weißt du denn, wer er ist und was er braucht? Er hat vielleicht einfach zu viel um die Ohren, und sein Privatleben ist ihm nicht so wichtig wie sein Job!«
Wie bitte? Hatte ich richtig gehört? Wieso ergriff Ben plötzlich Clemens’ Partei? Empört wehrte ich seine These ab, Ben zuckte mit den Schultern und wechselte das Thema.
Innerlich kochte ich einen Moment lang weiter und überlegte, wieso niemand anderes als Ben mich so auf die Palme bringen konnte. Wieso gab ich so viel auf seine Meinung? War das Gewohnheit oder weil er mich gut kannte und oft tiefer in mich hineinblicken konnte als andere? Es war seltsam, es gab Momente, da stand eine Mauer zwischen uns – und dann wieder erkannte ich sein Innerstes und er meins.
Plötzlich hielt Ben mitten im Satz inne, sah mich an und sagte völlig aus dem Zusammenhang gerissen heraus: »Willst du den wahren Grund wissen, warum ich Liv nicht sagen möchte, dass ich sie liebe?«
Hallo? Ich war eine Frau, die Neugierde war eine unserer natürlichsten Eigenschaften, und wenn Ben plötzlich Tag der offenen Tür feierte und seine innersten Gedanken aussprach, wer würde da bitte Nein sagen?
Erwartungsvoll sah ich ihn an.
»Der eigentliche Grund, warum ich ihr nicht sage, dass ich sie liebe, ist der, dass ich weiß, dass ich viel mehr lieben kann.«
Er sprach in Rätseln, stellte ich enttäuscht fest.
»Das klingt aber sehr hypothetisch. Woher willst du das denn bitte wissen?«
Ben sah mich an. Mir wurde mulmig, als er antwortete: »Weil ich es genau spüre.«
Hilfe, was geschah hier? Diese Stille, mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass wir allein auf seiner Couch lagen und uns tief in die Augen blickten. Wenn ich nicht ganz bescheuert war, führten solche Situationen zwangsläufig zu einem Kuss.
Warum pochte mein Herz wie wild? Ich war über Ben hinweg, vollkommen hinweg! War das die Gewohnheit, die mir einen Strich durch die Rechnung machte? Ben näherte sich meinem Gesicht und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. So also fühlten sich Blitzschläge an, wollte er mich etwa küssen? Jahrelang hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht. Wenn ich ehrlich war, verspürte ich in diesem Moment ein altbekanntes Verlangen, endlich seinen Mund auf meinem zu spüren, endlich zu wissen, wie es sich anfühlte. Ben sah mich aufmerksam und zärtlich an, während sein Mund sich meinem näherte. Plötzlich durchfuhr mich ein Gefühl, mit dem ich als Letztes gerechnet hätte: Angst! Die nackte Angst stieg in mir hoch. Das hier war kein Spiel, das war unberechenbar, gefährlich, einfach weil Ben so überhaupt nicht
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