Flaschendrehen: Roman (German Edition)
einem Interview mit einer überregionalen Zeitung keine Gelegenheit ausgelassen, um über Feline direkt und indirekt ausführlich herzuziehen.
Sie versuchte, Feline als arrogant und kalt darzustellen, sie kenne gestandene, erfolgreiche Männer, die seit Jahren in der Branche arbeiteten, die regelrecht Angst vor dieser Frau – damit war Feline gemeint – und ihrem undurchsichtigen Blick hätten. Ilona Richter hatte in einem Interview dann heftigst auf persönlicher Ebene weiter gestänkert und geäußert, dass sie sich frage, wie Feline Beruf und Kind denn unter einen Hut bringe wolle, bei dem Arbeitspensum, das sie leistete oder zumindest leisten sollte, wenn sie ihren Job richtig machen wollte.
»Ich«, war zu lesen gewesen, »habe mich ja genau aus diesem Grund gegen Kinder entschieden, denn Kinder zu bekommen, um sie dann an Fremde abzugeben, ist den armen Kindern gegenüber nicht fair und verantwortbar.« O-Ton Ilona Richter.
Diese Schlange, erstens wusste jeder, der mit Feline arbeitete, wie sehr sie an ihrem Kind hing und besorgt war, immer genügend Zeit für den Kleinen aufzubringen, ohne dabei ihren Job zu vergessen. Mit Planung und Homeoffice-Tagen klappte das, und ihr Sohn wirkte zudem ausgesprochen glücklich. Was Felines Sphinxblick anging, der war tatsächlich legendär, vor allem weil er Poser und Blender sehr schnell entlarvte. Sie ließ sich eben nichts vormachen und heuchelte oder spielte keine Begeisterung, wenn sie sie nicht empfand, auch nicht aus Höflichkeit. Genau das war das Angenehme an Feline, diese unaufgeregte, uneitle Art, die sich auf sachliche Fragen und nicht auf den Schein konzentrierte.
Clemens hatte sich bereits Gedanken gemacht, wie wir uns mit dem Januarheft weiter von der Zeitgeist absetzen konnten. Titellayout und Themen standen seit langem fest. Clemens’ Vorschlag war, zusätzlich zum normalen Januarheft wieder ein Sonderheft zu machen. Wie sich herausgestellt hatte, funktionierten die Ausgaben mit den Sonderheften um ein Vielfaches besser, vor allem konnte die Zeitgeist Sonderhefte bisher weder infrastrukturell noch manpowermäßig stemmen, was für uns eine weitere Möglichkeit war, zu punkten.
»Bitte überlegt euch bis morgen Themenvorschläge für ein Sonderheft und schickt sie mir«, bat Clemens abschließend, bevor alle wieder auseinander stoben.
Betont langsam packte ich meine Sachen ein. Clemens machte mir Zeichen, gleich zu ihm ins Büro zu kommen. Nichts lieber als das, allerdings war ich nervös, weil wir zum ersten Mal seit unserem Streit am Telefon wieder allein waren. Außerdem befürchtete ich, dass man mir meine Beinaheverfehlung der gestrigen Nacht mit Ben an der Nasenspitze ablesen konnte. Ich war nicht sonderlich gut im Versteckspiel.
Marion, die vor Clemens’ Büro saß, bat mich einen Moment zu warten, Diane war bei Clemens mit einer dringenden Angelegenheit. Was war denn so dringend? Eine Gästeliste, auf der sie nicht draufstand, ein Kollege hatte ein Werbegeschenk bekommen und sie nicht?
Geduldig blieb ich stehen und unterhielt mich mit Marion, die nebenher Unterlagen abheftete und mit mir Ideen für Weihnachtsgeschenke austauschte. Zufällig fiel mein Blick auf den letzten Reiseplan für Clemens und wenn mich nicht alles täuschte, stand da zu lesen, dass Clemens’ Rückflug gestern Abend bereits nach Berlin gegangen war. Ich wunderte mich, davon hatte er mir überhaupt nichts gesagt. Na, ich würde ihn ja gleich fragen können, wenn Diane denn dann irgendwann fertig gejammert hatte.
Endlich ging die Tür auf, und Dianes zufriedenem Gesichtsausdruck nach hatte sie, was immer es auch war, bekommen. Herablassend lächelte sie mich an und ging an mir vorbei, ohne ein Wort zu sagen.
Zu doof, dass Clemens ein so korrekter Chef war und nie über seine Schäfchen sprach und alles, was man ihm anvertraute, auch für sich behielt. Doof war das natürlich nur, wenn es nicht um mich ging, an sich fand ich diese Eigenschaft nämlich sehr löblich.
Ich trat ein und schloss leicht verunsichert die Tür. Clemens saß an seinem Schreibtisch, stand auf und kam langsam mit einem fragenden Gesichtsausdruck auf mich zu.
»Alles okay? Sind wir wieder Freunde?«
Er bezog sich auf unseren Streit.
Als Antwort nickte ich nur und wartete darauf, dass er mich endlich küsste. Telepathisch begabt, wie er war, tat er genau das, und falls auch nur ein Quäntchen Zweifel mein grüblerisches Gehirn geplagt hatte, was die Situation mit Ben anging, so war es
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