Flaschendrehen: Roman (German Edition)
öffnen.
Clemens öffnete den Umschlag und las laut vor.
»Sterntaufe. Der Stern mit folgenden Koordinaten wurde auf den Namen Clemens getauft.«
Gerührt nahm Clemens mich in den Arm und versicherte mir, dass es das entzückendste und kitschigste Geschenk sei, das ihm jemals gemacht wurde.
Angestrengt sah er durch das Teleskop und versuchte, unter meiner Anweisung seinen Stern zu finden.
»Lass mich mal«, sagte ich nach einer Weile und schob ihn beiseite, fand nach der Anweisungskarte sofort den Stern und ließ Clemens ihn bewundern. Dieser Moment war trotz meines verkaterten Zustandes schön, ein Stern war unvergänglich, und wir beide waren ab jetzt immer durch ihn verbunden, beschwor ich. Wenn wir wieder wie so oft getrennt waren, konnte man einfach in den Himmel blicken und sich an dem Stern festhalten, wenn nicht gerade Nebel herrschte.
Nur drei Stunden blieben uns, dann musste Clemens wieder los, für drei Stunden lohnte es sich aber auf keinen Fall zu schlafen …
»Du hast ihm allen Ernstes einen Stern geschenkt?«, rief Ben ungläubig und lachte hemmungslos.
Haha, sehr witzig, ein Brüller! Dass Ben für so ein Geschenk nichts übrig hatte, konnte ich mir denken.
»Ja, und stell dir vor, er hat sich sehr gefreut, das ist ein Geschenk für die Ewigkeit!«, erwiderte ich trotzig. Ich ließ mir meine Idee nicht von Ben vermiesen, ich nicht!
»Es sei denn, du hast ’nen Stern erwischt, der am Ausglühen ist. Oder ein Meteorit fliegt zufällig vorbei und zerstört das ewige Glück!« Ben grinste mich herausfordernd an.
Warum genau war ich noch mal mit Ben verabredet? Na, weil niemand anderes mit mir in In the mood for love wollte und ich es hasste, allein ins Kino zu gehen, den Film mit seiner Farbenpracht und wunderschönen Musik aber unbedingt noch mal auf Großleinwand sehen und Dolby-Surround hören wollte!
»Was weißt du schon über wahre Gefühle und die große Liebe!«, bügelte ich die Diskussion ab.
Ben musste natürlich das letzte Wort haben.
»Genug, um dir zu sagen, dass Sterntaufen was für vierzehnjährige Mädels sind, die ein Pony namens Sylvester reiten, abends vor dem Einschlafen zu ihrem Lieblingssoapstar beten, ohne zu ahnen, dass der schwul ist, und sich mit der besten Freundin zweigeteilte Goldherzchenketten kaufen, um eben erwähntem angehimmelten Soapstar die andere Hälfte zu schicken.«
Ach, sollte er denken, was er wollte! Bestimmt würde Liv alles darum geben, von ihm eine Herzchenkette geschenkt zu bekommen, aber auf solch eine Liebesbezeugung würde sie vergeblich warten müssen.
»Wo ist denn eigentlich dein Superstern heute? Mag er keine anspruchsvollen Filme? Als Chefredakteur der Phosphor macht sich das nicht gut, aber keine Angst, ich sag’s nicht weiter«, frotzelte Ben, ohne zu wissen, einen wunden Punkt angesprochen zu haben, denn es waren Schatten im Wolkenkuckucksheim aufgezogen. In der Woche zuvor hatte es sogar den ersten Streit mit Clemens gegeben, natürlich am Telefon, denn zu Gesicht bekam ich Clemens kaum noch. Für meinen Geschmack fand ich es ein schlechtes Zeichen, wenn man die Stalkerin seines Freundes öfter sieht als ihn selbst. Viola, die verwirrte Seele, lungerte in regelmäßigen Abständen vor unserem Büro herum und hinterließ mir Zettel mit ihrer Handynummer und der dringenden Bitte, sie anzurufen. Es ginge um Leben und Tod. Natürlich vermied ich jeden Kontakt, Clemens hatte mich ja gewarnt, aber er hatte auch gut reden, so selten wie er da war, konnte ihm selbst Viola die Gestörte gleichgültig sein. Wenn ich ihn weiterhin so selten zu Gesicht bekam, würde ich mich womöglich aus purer Verzweiflung mit Viola anfreunden, man traf nicht oft Menschen, mit denen einen dieselben Interessen verbanden. Ich muss zugeben, ich hatte mir das vor allem nach unserem Venedigaufenthalt anders vorgestellt. Mir war klar gewesen, wie stressig das kommende halbe Jahr werden würde, vor allem für Clemens, aber dass wir fast nur noch über Telefon kommunizierten und ich mich so vernachlässigt fühlen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Das Schlimme war, ich schien viel mehr als Clemens unter der Situation zu leiden. Er war durch seine Geschäftsreisen abgelenkt, während ich den Redaktionsalltag lebte. Anfangs hatte ich mich getröstet, dass die Heimlichtuerei sich bald legen würde, es war bereits Anfang Dezember, was bedeutete, dass ich nur noch vier Wochen durchhalten musste, bis ich kündigen konnte. Dann war mir aber klar geworden, dass
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