Flaschendrehen: Roman (German Edition)
würde Feline sagen, wenn sie aus dem Urlaub zurückkam und kein Sonderheft, dafür aber drei depressive Ressortleiterinnen vorfinden würde, und die Zusatzinfo erhielt, dass die Themen der Sonderausgabe alle bei ihrer Erzfeindin Ilona Richter bekannt gegeben worden waren.
»Ihr werdet mich gleich hassen, aber später einmal sehr dankbar dafür sein. Ich stelle jetzt einen Plan auf, an den wir uns genau halten werden, ist das klar? Ihr seid momentan zu verwirrt, also überlasst das Denken mir! Als Erstes werden wir uns ein Ersatzthema für das Sonderheft überlegen. Dann sagen wir Feline Bescheid, dass die Zeitgeist irgendwie an unsere Themen rangekommen sein muss, wir nicht wissen, wie, aber schon an einem Ersatzthema arbeiten. Egal, wie gleichgültig euch im Moment alles ist, ihr werdet kein Wort zu Feline über Clemens verlieren, und niemand kündigt voreilig. Heute Abend gehen wir zu mir, ich koche was, und morgen machen wir genauso weiter wie heute. Ihr werdet sehen, die Arbeit ist genau das, was ihr jetzt braucht, damit euch nicht alles wegbricht.«
So energisch hatte ich Marion noch nie erlebt, aber ihre Worte brachten uns auf Trab. Michi protestierte als Erste und fragte, worüber wir denn schreiben sollten: verratene Liebe, zerplatzte Träume, einen Mann, dessen Blicke lügen?
Marion fand die Idee gar nicht so schlecht, sozusagen die Situation kreativ zu verarbeiten.
»Super, wollen wir etwa das Sonderheft als Gruppentherapie nutzen?«
Ich teilte Dianes Zweifel. Wie sollten wir in dieser Verfassung etwas Hochwertiges abliefern und ohne Abstand solch ein Thema bearbeiten. Auf der anderen Seite wusste ich, dass Marion Recht hatte und es die einzige Rettung für die Redaktion war, wenn wir ein neues Sonderheft auf die Beine stellten.
»Seid mir nicht böse, aber ich muss hier einfach raus, lasst es für heute gut sein. Wir haben noch drei Tage, wenn wir durcharbeiten und alle guten freien Mitarbeiter mobilisieren, bekommen wir es hin. Jeder überlegt sich ein Thema bis morgen, dann einigen wir uns auf eins und legen los. Ich glaube, es war für uns alle zu viel heute, lasst uns morgen weitersprechen.«
Dankbar nickten Michi und Diane, Marion sah ein, dass es keinen Sinn machte, jetzt noch etwas über den Zaun zu brechen, und stimmte zu. Feline würde erst morgen Nachmittag im Büro sein, so blieb uns noch der gesamte Morgen, um uns auf ein Thema zu einigen.
Wie in Trance setzte ich mich in mein Auto, eigentlich sollte ich in meinem Zustand nicht fahren, und lenkte wie ferngesteuert in Richtung Krankenhaus, in dem Sarah arbeitete.
Dort angekommen, parkte ich direkt vor der Tür, ohne darauf zu achten, ob es ein Halteverbot gab, und stürmte ohne Anmeldung auf die Station. Im Arztzimmer fand ich Sarah, die nach fast achtundvierzig Stunden Bereitschaft nicht gerade frisch aussah. Eins konnte ich garantieren, wenn ich mit ihr fertig war, würde sie sich wünschen, so auszusehen wie jetzt.
Sarah sah mich überrascht an, mit mir hatte sie um diese Tageszeit unangemeldet bestimmt nicht gerechnet und mit dem Ausdruck im Gesicht schon mal gar nicht, oder doch? Sie musste damit rechnen, dass die Sache mit ihr und Clemens irgendwann aufflog.
»Ist was passiert? Wie siehst du denn aus?«, fragte sie besorgt.
Die besorgte Freundin konnte sie sich wer weiß wohin stecken. Mit vor Wut bebender Stimme antwortete ich so beherrscht wie möglich:
»Ich sehe so aus wie jemand, der von seiner besten und engsten Freundin verarscht, verraten und betrogen wurde. Ich sehe so aus wie jemand, der innerhalb eines Momentes den Freund und die beste Freundin verloren hat, und ich sehe aus wie jemand, der an nichts mehr glaubt, keine Perspektive sieht und alles, einfach alles für möglich hält.«
Sarah riss entsetzt die Augen auf, sie wusste genau, wovon ich sprach. Sie ging auf mich zu und begann, wie wild auf mich einzureden. Wie sehr es ihr Leid täte, sie würde sich selbst dafür hassen, aber sie habe Clemens einfach nicht widerstehen können.
»Glaube mir, du kennst mich und meine Prinzipien. Nie im Leben kann ich gutheißen, was ich getan habe, ich habe nicht einmal versucht, mich zu wehren, es war einfach stärker als ich, was keine Entschuldigung ist, aber ich hab es getan, weil ich Clemens so sehr liebe, dass alles andere gleichgültig wurde.«
Ich sah sie an. Wie seltsam es war, dass man meinte, Menschen zu kennen, durchschauen und berechnen zu können, und dann waren es die, die einem am nächsten standen, die
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