Flaschendrehen: Roman (German Edition)
man überhaupt nicht kannte.
Sarah flehte mich an, ihr zu verzeihen, und weinte bitterlich. Ich fühlte mich aber nur wie abgestorben und empfand nichts mehr. Nur ein kalter, lebloser Klumpen in meiner Magengegend rührte sich.
»Sarah, ich weiß momentan nicht einmal, wie ich weitermachen soll, und normalerweise würde ich mit solchen Problemen zu dir kommen. Das ist ab heute wohl vorbei. Übrigens keine Ahnung, was das zwischen dir und Clemens war, aber nur der Vollständigkeit halber, Clemens war auch mit Diane und Michi zusammen, und mich würde es nicht wundern, wenn es noch mehr Frauen gibt!«
Sarah schrie entsetzt auf, brach in sich auf dem Boden zusammen und weinte ohne Unterlass. Kurz verspürte ich den Impuls, sie in den Arm zu nehmen, doch dann schoss mir wieder das Bild in den Kopf, auf dem Sarah und Clemens sich küssten, und diese Regung verschwand sofort wieder. Ohne mich umzudrehen, ging ich, stieg in mein Auto, das nicht abgeschleppt worden war, und fuhr zu Rudi, der noch Urlaub hatte.
Rudi, der mit mir nicht gerechnet hatte, öffnete überrascht die Tür. Bevor er überhaupt »Hallo« sagen konnte, lag ich ihm in den Armen und weinte so markerschütternd, dass er es mit der Angst zu tun bekam.
»Ist was mit Mama oder Papa?«, versuchte er etwas aus mir herauszubekommen. Ich schüttelte den Kopf und brachte zwischen Schluchzern und einem einsetzenden Schluckauf nur »Clemens« heraus.
Rudi, der wusste, dass Clemens in den Alpen herumturnte, wurde kalkweiß.
»Ist ihm was passiert?«
Wieder schüttelte ich den Kopf und konnte mich immer noch nicht beruhigen. Rudi, der zwar ahnte, dass was Schlimmes passiert sein musste, zumindest aber niemand tot oder verletzt war, schob mich in seine Wohnung, wo ich sofort sein Bett ansteuerte, mich angezogen in es reinfallen ließ und die Decke über den Kopf zog. Rudi setzte sich auf die Kante und strich mir zur Beruhigung über den Rücken.
Allmählich bekam ich wieder Luft, auch wenn die Tränen weiter flossen. Stockend und von einem Schütteln begleitet, sagte ich Rudi, was passiert war. Mein Bruder, selbst kein Kind von Traurigkeit und hartgesotten, konnte nicht fassen, was ich erzählte, und versicherte sich mehrmals, dass sich alles genau so zugetragen hatte.
»Was sagt Clemens dazu? Vielleicht gibt es eine Erklärung?«
Ha, sehr lustig! Gar nichts hat er gesagt! Wie auch? Er war ja damit beschäftigt, sich beim Überlebenstraining näher zu kommen. Vielleicht traf er ja gleich alle seine verschiedenen Persönlichkeiten auf einen Schlag!
Wie gern würde ich glauben, dass es eine Erklärung gab, aber je länger ich darüber nachdachte, für umso wahrscheinlicher hielt ich es, dass er eben tatsächlich mit uns allen verbandelt war.
»Wie kann man sich so in einem Menschen täuschen? Nein, wie konnte ich mich gleich in zwei Menschen so täuschen?«, fragte ich Rudi. Er sah mich ratlos an, ein Ausdruck, den ich noch nicht oft gesehen hatte.
»Wer kümmert sich denn um Sarah?«, wollte Rudi tatsächlich wissen. Ich sagte, dass wenn mir etwas egal war, dann die Frage, wer sich um Sarah kümmere. Rudi schien sich jedoch Sorgen zu machen und ging kurz aus dem Zimmer, um zu telefonieren. Ich hörte nur Wortfetzen, wie er jemanden bat, bei Sarah vorbeizufahren und nach ihr zu schauen. Keine Ahnung, wen, aber das war mir auch egal.
Wenn ich mir überlegte, wie sich das Leben innerhalb eines Moments ändern konnte. Noch gestern hatte ich mich auf das, wie ich dachte, schönste Jahr meines Lebens gefreut, stand kurz davor zu kündigen und hatte heimlich überlegt, mit Clemens zusammenzuziehen. Clemens! Noch nie hatte ich so das Bedürfnis verspürt, ihn bei mir zu haben und mit ihm sprechen zu können. Ich stand kurz vor dem Wahnsinn, was Rudi, der mich in- und auswendig kannte, bemerkte. Wieder ging er in den Flur, um zu telefonieren. Wenige Minuten später kam Heiner, ein guter Freund von Rudi und seines Zeichens Hausarzt, vorbei. Er sah mich an, sprach mit mir und fragte, wie ich mich fühlte. Ich versuchte das, was in mir vorging, in Worte zu fassen, während ich krampfhaft mein Handy in der Hand hielt, das ich seit Stunden nicht losließ für den Fall, dass Clemens anrief.
»Ich fühle mich, als ob mein Kopf und Körper voneinander abgetrennt sind. Mein Kopf denkt sich heiß und steht kurz davor durchzubrennen, während mein Körper einfach nur funktioniert.«
Heiner murmelte etwas von Schock und fragte, ob es okay sei, wenn er mir eine Spritze mit
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