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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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wie weg, von ihren übervorsichtigen Eltern ließ sie sich nicht mehr bevormunden, und als Zeichen ihrer neuen Stärke hatte sie sich einen zweiwöchigen Abenteuerurlaub durch Südamerika gebucht, und zwar allein!
    Um unseren Heilungsprozess zu unterstützen, waren wir Clemens-Geschädigten an diesem Abend von meiner Mutter zu einem Reinigungsritual eingeladen. Mit Ausnahme von Sarah. Bisher war ich einfach noch nicht in der Lage, sie zu sehen und zu vergessen, auch wenn meine Umgebung, vor allem meine Mutter, es sich sehr wünschte.
    Normalerweise hätte ich allein bei dem Wort »Reinigungsritual« das Weite gesucht, aber da ich meiner Mutter eine Menge verdankte und sie sich so liebevoll um mich gekümmert hatte, war ich ihr das einfach schuldig. Seit gestern war sie unterwegs und mit Einkäufen beschäftigt. In den entlegensten Stadtteilen suchte sie Dinge zusammen und werkelte mit brennenden Wangen und glühenden Augen geheimnisvoll vor sich hin. Allein meine Abwehr, die sich wieder gegen ihre spirituellen Spleens regte, zeigte mir, dass ich auf dem Weg der Besserung war, auch wenn mir einiges abhanden gekommen war: der Glaube an die große Liebe und der Hang zu Romantik zum Beispiel. Vielleicht war es aber auch nur ein nötiger Reifungsprozess, der längst fällig gewesen war.
    Gegen halb fünf machte ich mich aus dem Staub, weil ich meiner Mutter versprochen hatte, verschiedene frische Kräuter zu besorgen, die ich am einfachsten in der Lebensmittelabteilung des »Lafayette« bekam.
    Berlin zeigte sich nicht wirklich von seiner schönsten Seite im Januar, es wurde tagsüber fast nicht hell, stattdessen wehte ein fieser kalter Ostwind aus der Uckermark, und der Schneematsch, der nur eines machte, nämlich kalte Füße und dreckige Schuhe, heiterte das Bild leider auch nicht gerade auf. Wenn man dann noch am Alex mit seinen leer stehenden trabantenstadtähnlichen Wohnblocks vorbeimusste, um zur Arbeit oder wieder nach Hause zu gelangen, machte es einem weder den Winter noch die Stadt zum Freund. So sang ich, wenn ich an den wenigen beleuchteten Wohnungen, die ein Bild des Jammers und der urbanen Einsamkeit darstellten, meinen selbst gedichteten Song zur Aufheiterung vor mich hin, der eigentlich nur aus einer Textzeile bestand, die mir dafür umso besser gefiel: »Trabantenstadt, ich hab dich satt!« Ich sang so lange, bis die Honecker-Gedächtnissiedlungen hinter mir lagen.
    In der Friedrichstraße fuhr ich direkt ins Parkhaus, es machte keinen Sinn, um diese Uhrzeit nach einem Parkplatz zu suchen.
    Schnell huschte ich ins Lafayette, um dem fiesen Wind zu entkommen, und stellte mich benommen vor Kälte auf die Rolltreppe nach unten. Am Gemüsestand hatten sie zum Glück alles, was ich mitbringen sollte, auch frisches Eisenkraut. An der Kasse war nur eine kurze Schlange, vor mir stand eine Dame im Nerzmantel mit blonden auftoupierten Haaren. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich wie in der PETA -Werbung an ihrem Fell lecken sollte, um dann vor ihren Füßen einen Haarbollen herauszuwürgen, ließ den Gedanken dann doch wieder fallen. Zumal, als sie sich zur Seite drehte und ich in ein mir zu gut bekanntes Profil blickte. Ilona Richter, wer sonst! Es gab kaum Menschen, die ich in Berlin zweimal traf, aber sie an jeder Ecke! Neuerdings platinblond gefärbt. Na ja, vielleicht ging sie jetzt auch zu Udo Walz wie alle Grunewalddamen.
    »Ach schau an, die Frau Clemens Vogelmann in spe!«
    Ich konnte mir eine Anspielung auf ihre Verlobung mit Clemens einfach nicht verkneifen. Immerhin hatte sie ihre verschmähten Gefühle indirekt an uns ausgelassen.
    Sie sah mich erstaunt an, das Thema Verlobung war ihr unangenehm, das konnte ich sehen, und flüsterte hektisch:
    »Nicht hier. Lassen sie uns um die Ecke ins Einstein gehen!«
    Eigentlich hatte ich keine Zeit, wie ich mir nach einem Blick auf die Uhr sagte, andererseits brannte ich vor Neugierde und wollte auf alle Fälle erfahren, wie sich eine ausgebuffte Frau wie sie hinters Licht hatte führen lassen können.
    Im Einstein ging sie natürlich vor mir, platzierte uns strategisch geschickt an einen Tisch fernab in der Ecke, wo uns niemand zuhören konnte, und bestellte zwei Latte macchiato. Ilona Richter zog ihren Pelz aus, und zum Vorschein kam wieder ein geschmackloses, mit Strass besetztes Oberteil, das allerdings sündhaft teuer gewesen sein musste, zumindest ließ es das gut lesbare Designerschildchen vermuten.
    Hätte ich mir auch nie träumen lassen, dass

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