Flaschendrehen: Roman (German Edition)
nicht mehr zum Lachen zumute, im Gegenteil, irgendetwas passierte in diesem Raum, während wir gemeinsam diese magischen Worte sprachen. Ob es an den gleichzeitig ausgeführten Handlungen lag oder dem rhythmischen Gleichklang der Sätze … auf alle Fälle fühlte ich eine Kraft in mir aufsteigen, die mich innerlich aufrichtete und meinen Körper mit Wärme durchströmte. Vielleicht war das aber auch nur die Wirkung des Tees, und ich spürte die ersten Vergiftungsanzeichen. Was auch immer es war, es tat gut, und ich war schon lange über das Stadium hinaus, die Angelegenheit lächerlich zu finden und als Spinnerei abzutun. Diane, die ich aus den Augenwinkeln beobachtete, musste es ähnlich ergehen, sie sah merkwürdig gelöst aus, einen Ausdruck, den ich seit Clemens’ Verwüstung nicht mehr gesehen hatte, und Michi lächelte verzückt. Wer hätte gedacht, dass meine Mutter tatsächlich etwas mit ihrem spirituellen Kram bewirken konnte.
Sie ging zum Fenster und entfernte eins der Stofftücher, bedeckte das Fensterbrett damit und legte ihren Stein darauf, der vom aufgegangenen Vollmond beleuchtet wurde. Jetzt war mir klar, warum wir den Reinigungsabend unbedingt heute machen mussten. Eigentlich wären wir heute Abend feiern gegangen, um das Gelingen der Ausgabe samt Sonderheft zu feiern, aber meine Mutter hatte darauf bestanden, uns heute zu treffen, weil wir den Vollmond brauchten, wie sich gerade rausstellte. Die Steine wurden noch für eine gewisse Zeit besprochen und dann mit verschiedenen Schutzzaubern versiegelt.
»Ihr könnt jetzt euren Stein nehmen. Ihr müsst ihn sieben Stunden am Körper tragen, dann ist er auf euch geeicht und wird euch beschützen.«
Spätestens jetzt wäre normalerweise der Zeitpunkt für mich gewesen loszulachen, aber stattdessen nahm ich den Stein ehrfürchtig an mich und achtete darauf, ja den Körperkontakt zu halten.
Anschließend machte Michi meiner Mutter, die sich außerhalb des Pentagramms wieder mit Eva ansprechen ließ, ein Kompliment.
»Eva, du hast heilende Kräfte. Das tat so gut, ich fühle mich wirklich gereinigt!«
Diane stimmte in das Lob ein. Meine Mutter war restlos glücklich und strahlte über das ganze Gesicht. Endlich hatte sie beweisen können, dass ihre Freizeitbeschäftigung nicht nur Humbug war.
Gegen Mitternacht, als alle gegangen waren, bedankte ich mich bei meiner Mutter für all ihre Unterstützung und Hilfe der letzten Zeit.
Sie lächelte mich an und nahm mich in den Arm.
»Wofür hat man denn eine Mutter? Aber ich glaube, jetzt geht es dir wieder besser, wenn du nichts dagegen hast, reise ich morgen wieder ab. Frank hat sich schon beschwert. Er vermisst mich.«
Natürlich hatte ich nichts dagegen. Im Gegenteil, es war an der Zeit, mein Alltagsleben zu leben und gestärkt dem Showdown mit Clemens entgegenzusehen.
»Gute Nacht!«, rief ich und ging in mein Bett, nicht ohne vorher zu prüfen, dass mein Mondstein auch schön in meiner Pyjamahosentasche verstaut war.
Heute war es endlich so weit, der Tag der Abrechnung war gekommen! Clemens verließ unwissend über die Geschehnisse in Berlin nach vier Tagen seine Enklave in den Bergen, wo er bestimmt neue Psychotricks gelernt hatte, um noch mehr Frauen in ihr Unglück zu stürzen. Meinen Wecker hatte ich auf sieben gestellt, was ich mir hätte sparen können, denn nach einer unruhigen Nacht lag ich seit sechs hellwach im Bett und versuchte, mich auf das, was da kommen mochte, mental vorzubereiten. Unfassbar, was in dieser kurzen Zeit alles passiert war. Clemens hatte sich als unseriöser Casanova entlarvt, meine Freundschaft zu Sarah bestand momentan nicht mehr, Diane hatte unsere Themen an Ilona Richter verraten, die sich ihrerseits als Clemens’ Exverlobte herausstellte, und zu all dem Chaos hatten wir nebenbei ein Sonderheft auf den Weg gebracht. Zuerst war ich fast verrückt geworden, dass ich Clemens nicht sofort zu Rede stellen konnte, denn das war mein allererster Impuls gewesen. Aber Clemens machte seine Sachen stets hundertprozentig, und wenn er meinte, zur Heilsfindung in völliger Abgeschiedenheit sein zu müssen, so gab es keinen Kompromiss, keine Rufnummer für alle Fälle. Nicht einmal Marion hatte eine Adresse oder Nummer für den Notfall gehabt.
Inzwischen war ich froh, etwas Zeit gehabt zu haben, den ersten Schock verdauen zu können, und hoffte mit aufrechter Haltung in das Gespräch zu gehen und nicht bei Clemens’ Anblick gleich einzubrechen.
Warum änderte sich
Weitere Kostenlose Bücher