Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Wenn mein Großvater irgendwas mehr hasste als die kommunistischen Reden meines Vaters, dann diese Punks aus gutem Hause, die einen runtergekommenen Altbau besetzt hielten. Subtile Rache nannte man das dann wohl.
Inzwischen hatte ich so großen Hunger, dass ich mir einen Teller randvoll mit Kohlsuppe füllte.
So schlecht schmeckte sie gar nicht.
Also noch einen Teller! Soll ja umso besser wirken, je mehr man davon isst, und bis Montag wollte ich in meinen neuen Rock passen, die Konkurrenz schlief ja nicht, wie ich seit kurzem wusste.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mich auf Vorderfrau zu bringen, erst mal joggen, dann ein Bad nehmen, gefolgt von einem Ganzkörperpeeling und cremen, cremen, cremen, eine glänzende Seidenhaut fiel nicht vom Himmel.
Eigentlich war ich froh, den Abend mal für mich zu haben. Die letzten Wochen waren ziemlich aufregend gewesen. Sarah hatte Dienst, worüber ich erleichtert war, denn bis die Sache mit Clemens nicht geklärt war, vermied ich es, mit ihr zu viel Kontakt zu haben. Rudi zog um die Häuser. Ben und Liz machten einen auf Pärchenabend. Da wollte ich nicht Mäuschen spielen. Bestimmt lief es so ab, dass Ben ein Buch las und Liz ihn einfach nur dabei anschaute und bewunderte! Und Leila war mit ihrem Tai-Chi-René ins Wochenende abgerauscht. Schon komisch, dass eine so auffällige Schönheit wie Leila nicht mehr Glück in der Liebe hatte als andere. Na ja, das mit René klang ja viel versprechend.
Mit meiner Kohlsuppe und einem schönen Film würde ich mir einen tipptopp Abend machen, natürlich immer in der Hoffnung, dass Clemens sich endlich meldete. Bei der Auswahl des Films achtete ich streng darauf, keinen Liebesfilm einzulegen. Das fehlte noch, ich war so schon neben der Spur, und wer weiß, auf welche Ideen mich eine Liebesschnulze bringen würde.
Nicht auszudenken, wenn ich schwach würde und vor lauter Sehnsucht unbedachte Dinge täte, wie zum Beispiel Clemens anzurufen oder ihm liebestolle Sätze zu simsen. Ich entschied mich für Spannung. Donnie Darko war genau der richtige Film, um mich abzulenken.
Was Clemens wohl gerade machte?
Klappte ja super mit der Ablenkung …
Im besten Fall dachte er an mich, im schlimmsten Fall bereute er es, mich geküsst zu haben. Vielleicht war das Verlangen derart unkontrolliert aus ihm herausgebrochen, dass er sich nicht hatte zurückhalten können, und jetzt machte er sich Vorwürfe. Ich meine, die Rechtslage sah alles andere als rosig für ihn aus, wenn ich ihm übel mitspielen wollte: von wegen Schutzbefohlenen und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz …
Das penetrante Klingeln meines Handys ging mir ganz schön auf die Nerven. Ich musste eingeschlafen sein, draußen war es völlig finster, die DVD stand wieder auf Menü, und die Kohlsuppe war eiskalt, stank aber nach wie vor. Schlaftrunken griff ich nach meinem Handy. Was, wenn es Clemens war? Mit einem Schlag war ich wach und sah auf die Uhr. Es war gleich Mitternacht. Wie romantisch: Der Prinz, der Gretchen Aschenputtel anruft, bevor sie wieder zum Spreu-vom-Weizen-Trennen in die Küche muss.
Hoffentlich klang meine verschlafene Stimme sexy.
»Jaa?«, stieß ich so lasziv wie möglich aus.
»Gretchen?«
Es war nicht Clemens, nein, am anderen Ende hatte ich eine hysterisch klingende Leila. Wieso rief die denn an?! Sie war doch mit Mr. Right René auf Liebespfaden unterwegs. Gab es schon die Verlobung bekannt zu geben?
»Gretchen, du musst mich abholen. Ich muss hier weg!«, flüsterte sie gehetzt.
Wie, was? Ich verstand nur Bahnhof. Was war passiert? Und vor allem, wie sollte ich sie denn abholen?! Renés Andeutungen zufolge waren sie gerade auf einer einsamen Insel.
»Wo bist du denn überhaupt?«
Leilas Stimme überschlug sich.
»Das wirst du mir nie glauben! Rate mal?«
»In Timbuktu?« Keine Ahnung, aber so gehetzt, wie sie klang, hätte ich meine Zeit nicht für Ratespielchen vergeudet. Oder es war gar nicht so dringend. Wenn sie noch Zeit hatte, aus dramaturgischen Gründen eine spannungsaufbauende Frage zu stellen.
Meine Antwort schien sie nicht sonderlich zu amüsieren, denn sie fuhr ungerührt fort: »Ich bin im Tropical Island!!«
Wieder verstand ich nicht ganz!
»Wie? Sag nicht, der hat dich in die Karibik verfrachtet!«
Kaum hatte ich das ausgesprochen, fiel mir auf, dass das rein zeittechnisch gar nicht möglich war.
»Nee, doch nicht Karibik! Hier bei uns, Tropical Island, hinter Königs-Wusterhausen, eine Stunde hinter
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