Flaschendrehen: Roman (German Edition)
die Diät »Kohlsuppendiät« und nicht »Kartoffel-Kohlsuppendiät«. Außerdem wusste doch jedes Kind seit Atkins, dass Kohlehydrate sozusagen der Feind einer jeden Diät waren. Gut, dass er selbst verfettet und arm gestorben war, hatte mich schon ein wenig gewundert, aber wenn man bis Montag in ein Kleidungsstück passen wollte, durfte man nicht kleinlich sein und musste die Diät eben etwas verschärfter durchziehen. War ja kein Kinderfasching hier!
»Wieso? Natürlich hab ich sie ohne Kartoffeln gemacht. Willst du etwa sagen, dass ich dadurch diese Gase entwickle?«
Sarah lachte immer noch, was mich nur noch wütender machte.
»Sagen wir so: Die gärende Wirkung ist noch stärker, wenn Kohlehydrate fehlen.«
Ich war ein durchaus geduldiger Mensch, den so schnell nichts aus der Ruhe brachte, zumindest behauptete ich das gern von mir. Was mich aber sehr unruhig werden ließ, war die Frage, wie lange diese Beschwerden anhalten würden. Allein während des Gesprächs mit Sarah hatte ich unentwegt Dampf ablassen müssen. Wenn es überhaupt so etwas wie Glück im Unglück gab, dann war es die Tatsache, dass die Winde wenigstens geräuschlos waren. So blieb mir im schlimmsten Fall immer noch die Möglichkeit, pikiert zu schauen und auf andere zu deuten, falls ich in einer Menschenmenge stehen oder noch schlimmer mit Clemens in einem Fahrstuhl gefangen sein sollte. Clemens!
Aaah! Sollte ich etwa als wandelnde Stinkqualle zur Arbeit? Der Diätplan war völlig nach hinten losgegangen. Anstatt einige Kilos leichter zu sein, hatte ich einen Blähbauch, der von Berlin bis Peking reichte, und das Odeur eines Güllefasses oder Hardcore-Frutariers. Die sollten angeblich ja auch so schlimm stinken. Zumindest behauptete das Rudi, der einmal das Vergnügen gehabt hatte, nach einem Frutarier die Toilette zu benutzen. Dass es sich dabei um einen Freund meiner Eltern handelte, war ja klar, von deren Freunden aß ja keiner normale Kost. Die gewöhnlichen Ökos, die nur kontrollierte Anbauprodukte zu sich nahmen, waren noch die Harmlosesten. Wenn man erst einmal ins Vokabular eingeführt war, wunderte man sich über Wörter wie Laktoseintoleranz, Blutgruppendiät, Gluten, Veganer, Orthorexie, makrobiotisch oder makroidiotisch, wie Rudi gern sagte, nicht mehr. Es gab nichts Anstrengenderes, als meinen Eltern zu helfen, ein Essen für Freunde vorzubereiten: unzählige extra Schälchen und Schüsseln – »Das ist der gelatinefreie Ricotta-Käse für Annegret« –, endlose Gespräche, auf welchem Markt zu welcher Uhrzeit man die regionalen, beschallten und liebevoll gezüchteten Pfifferlinge kaufen und wie frisch man die Rohkost wirklich essen musste. Manchmal hatten diese Essen fast etwas Religiöses und Zeremonielles, was Ansichten und Zubereitungsarten anging. Rudi und ich hatten oft überlegt, was die Essbewussten machen würden, wenn sie eine Woche in einem Tengelmann unserer Wahl eingeschlossen wären und sich ausschließlich mit Fertigprodukten und keinem Demeterobst ernähren konnten. Rudi ließ es sich auch nicht nehmen, die vegetarischen Essen mit Maggi oder Fleischbrühe nachzuwürzen, wenn ihm die Diskussionen mal wieder auf den Zeiger gingen.
»Sarah, wie lange dauert das denn bitte noch? Was kann ich dagegen machen?«, rief ich panisch in den Hörer. Ich war zu allem bereit. Zehn Hühnerherzen gratinieren? Handstand machen und dabei drei frisch gepresste Knoblauchzehen essen? Mir war jedes Mittel recht.
»Hm, das kann schon einen Tag dauern. Am besten, du versuchst mit Kohlehydraten zu stopfen. Salzstangen, Nudeln, Bananen, und ich kann dir ein Mittel gegen Blähungen vorbeibringen.«
Das Angebot nahm ich dankend an. Sie konnte mir auch gleich eine Krankschreibung ausstellen und sich eine schicke Krankheit überlegen. Blähungen machten sich nicht so toll, wenn der Empfänger der Krankschreibung der Liebhaber in spe war. Eins war sicher! Ich würde heute garantiert nicht bei der Arbeit erscheinen! Meine anfängliche Enttäuschung, Clemens nicht zu sehen, wich dem Gefühl, dass es vielleicht ein kluger Eingriff des Universums war, um mich noch interessanter wirken zu lassen? So, dann durfte sich Clemens mal zur Abwechslung Gedanken machen, wo ich blieb und ob ich wirklich krank war oder ihm aus dem Weg ging. Oder, noch besser, schon beim Anwalt saß, um mich nach rechtlichen Möglichkeiten und Schmerzensgeld wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu erkundigen.
Es klingelte. Vorsichtig lugte ich durch den
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