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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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Türspion. In Zeiten, in denen man es mühelos mit einem verwesenden Iltis aufnehmen konnte, was den eigenen Körperduft anging, musste man vorsichtig sein und konnte nicht unbekümmert die Tür öffnen. Am Ende war es Clemens, der sich Sorgen machte, wo ich blieb.
    Zum Glück war es Sarah.
    »Puh, mach mal die Fenster auf und lüfte, oder willst du, dass deine Nachbarn den Immissionsschutz rufen?«
    Super! Anstatt Mitgefühl oder wenigstens einen geheuchelten Anteil nehmenden Blick zu bekommen, hatte meine beste Freundin nichts Besseres zu tun, als wieder mal klipp und klar zu sagen, was Sache war.
    Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich innerlich fast verbrannte, weil ich unbedingt Clemens wiedersehen wollte – oder doch? War das ihre subtile Idee gewesen, um mich von ihm fern zu halten? Wusste man, ob Blähungen auch paranoide Schübe verursachen konnten? Denn unter selbigen schien ich gerade zu leiden.
    »Schreibst du mich jetzt bitte krank?«, fragte ich ungeduldig.
    Sarah zog ihren »Ich bin so was von seriös, weil ich der Menschheit diene und, ohne umzukippen, Bäuche aufschneiden kann«-Blick auf.
    »Was für ’ne Krankheit hättest du denn gerne?«
    Ich überlegte. Es kam nicht oft vor, dass das Objekt der Begierde der eigene Chef war, der gleich die körperlichen Schwächen mitgeteilt bekam, und das gerade mal zwei Tage nach dem Kuss des Jahrhunderts.
    Es musste etwas sein, was schlimm genug war, um zu Hause zu bleiben, schließlich wollte ich ja keine Memme sein, aber trotzdem nicht peinlich oder unangenehm. Also keine Blasenschwäche und auch kein Reizdarm.
    »Ich hab’s! Ich will ’ne Blinddarmreizung, die beobachtet werden muss. Mit einer Blinddarmreizung darf man nicht spaßen, muss liegen und zu Hause bleiben, richtig?«
    Sarah nickte und füllte die Krankmeldung aus.
    »Und das Gute ist, dass ich morgen schon wieder gesund sein kann!«, frohlockte ich.
    »Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man gerade meinen, du hättest deinen Jahresbonus bekommen, so wie du dich freust.« Sarah schüttelte den Kopf.
    Eigentlich hatte so ein erzwungener Ruhetag auch etwas für sich. Nachdem Sarah gegangen war, machte ich es mir im Bett gemütlich und konnte endlich mein Buch über italienische Opern weiterlesen. Leilas großzügiges Angebot, mich zu besuchen, hatte ich abgelehnt. Man wollte ja nicht frisch gewonnene Freunde so mir nichts, dir nichts wieder verlieren, und Gasmasken hatte ich nicht auf Lager.
    Sarah hatte meine Krankschreibung persönlich abgegeben – klar, die Chance, Clemens zu sehen, ließ sie sich nicht entgehen, wer weiß, vielleicht hatte er ihr als Dankeschön fürs Vorbeibringen auch die Zunge in den Hals gesteckt … Angeblich war Clemens sehr besorgt um mich gewesen und hatte gefragt, ob er was tun könne. Ja, verdammt noch mal, mich anrufen und seine unsterbliche Liebe gestehen! Wie wär’s denn damit?
    Aber sowohl Handy, Festnetz als auch der E-Mail-Eingang blieben stumm. Ich rechnete nach: Clemens hatte mich jetzt also geschlagene zwei Tage und fünf Stunden zappeln lassen. Ich befand mich im Tal der Ahnungslosen, wie man im Ostteil der Stadt so schön sagte, in Anlehnung und Erinnerung an DDR -Zeiten, in denen ganz Sachsen kein Westfernsehen empfangen konnte. Dass ich dabei fast durchdrehte, weil ich nicht mit meiner besten Freundin darüber sprechen konnte, mir sämtliche Szenarien und Erklärungen zurechtschusterte und eigentlich nur eines hören wollte: nämlich, dass ich die einzige, wahre, noch nie da gewesene, aber immer gesuchte Liebe seines Lebens sei, die ihn nicht mehr schlafen, sondern an Wahnsinn grenzen ließe, und dass er nur noch weiteratmen könne, wenn ich ihn küsste, immer und immer wieder!
    Mist, ich musste mit jemandem sprechen, bevor auch noch der letzte Rest Verstand vernebelte. Leila war jetzt sicher in ihrem Laden, und Rudi konnte ich nicht bei der Arbeit anrufen; die Werbefuzzis taten zwar immer so locker, waren im Grunde aber spießiger als jedes Einwohnermeldeamt und fanden es überhaupt nicht »supi«, wenn ihre Mitarbeiter Privatgespräche führten. Und mein Privatgespräch würde länger dauern, so viel stand fest. Mir war klar, wer jetzt noch übrig blieb, und die Auswahl war nicht wirklich das, was man unter einer guten Auswahl verstand. Eher so, als ob man sich zwischen erhängen oder erschießen entscheiden konnte. Ben oder meine Mutter. Ben hatte den Vorteil, dass er nicht meine Mutter war, meine Mutter hatte den Vorteil, dass sie mir keine

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