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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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wenn Sarah einen energisch bat, schaffte es niemand, auch Ben nicht, ihr etwas abzuschlagen.
    Falls Clemens wegen Bens Anwesenheit überrascht war, ließ er sich das nicht anmerken. Ben stellte sich höflich, aber nicht besonders herzlich vor. Die beiden musterten sich gegenseitig von unten bis oben.
    Sarah war noch aufgeregter als vorhin, falls eine Steigerung überhaupt möglich war. Clemens hatte ihr ein Geschenk mitgebracht, das sie sofort auspackte. Es war in einem großen grünen Karton mit roter Schleife verpackt.
    Jetzt war ich aber gespannt, was Clemens Sarah wohl schenken würde! Schmuck konnte es bei dieser Größe schon mal nicht sein, stellte ich beruhigt fest.
    Wäsche auch nicht.
    Sie öffnete den Deckel, sah hinein und kreischte erfreut auf. Clemens musste ihren Geschmack genau getroffen haben, was nicht einfach war, denn Sarah hatte immer eine sehr genaue Vorstellung, was Geschenke anging. Ich hingegen war leicht zu beschenken; allein schon Geschenkpapier öffnen zu dürfen, fand ich toll, egal, was später zum Vorschein kam. Womöglich hatte die nicht-materialistische Erziehung meiner Eltern doch Mikrospuren hinterlassen.
    »Ich fasse es nicht, der neue HS 20!«, rief Sara und hielt entzückt einen Tischstaubsauger in die Luft.
    Ben und ich schauten uns erstaunt an. In meinem gesamten Freundeskreis gab es niemanden, der einen Tischstaubsauger hatte, nicht einmal Sarah, zumindest bis heute. Sie machte mir Angst, denn wer wusste bitte über Tischstaubsauger so genau Bescheid, dass er nicht nur den Namen des Modells kannte, sondern auch wusste, dass es das neue Modell war? Und wie kam Clemens auf diese Idee? Gut, dass sie eine Sauberkeitsfanatikerin war, fand man schnell heraus. Zudem hatten Sarah und ich uns beim ersten Treffen mit Clemens sogar über Sarahs Putzzwang gestritten. Aber auf die Idee, ihr einen Tischstaubsauger zu schenken, war noch niemand gekommen.
    »Du hast erzählt, dass du gerne putzt, und da hab ich gehofft, dass dir der in deiner Sammlung fehlt!« Clemens lachte amüsiert über Sarahs Begeisterungssturm.
    Zum Dank fiel Sarah ihm um den Hals wie ein Junkie seinem Dealer, den er seit Wochen nicht gesehen hatte, und klammerte sich eindeutig länger als nötig an ihm fest.
    Höchste Zeit, dazwischenzugehen!
    »Habt ihr auch so Hunger? Wollen wir essen?«, versuchte ich, der für Sarah peinlichen Situation ein Ende zu bereiten.
    Ben stand auf und half Sarah die Teller zu füllen.
    Clemens verhielt sich wie abgemacht zurückhaltend mir gegenüber. Fast schon zu zurückhaltend für meinen Geschmack. Was zwischen uns lief, war zwar nicht definiert, aber ich war durchaus empfänglich für ein Lächeln oder einen viel sagenden Blick. Natürlich nur, wenn es niemand sah. Im Flur drückte ich mich an ihm vorbei, und ohne dass es Ben oder Sarah bemerkt hätten, streichelte er kurz meine Taille. Die Welt war wieder in Ordnung, dachte ich, zumindest bis wir uns setzten und über Indien sprachen. Natürlich war die Bhagwan-Geschichte die Sensation. Sarah erzählte von meinen Erlebnissen, als ob sie selbst dabei gewesen wäre. Irgendwie verständlich, wenn man selbst aus einer Familie kam, die einen zweiwöchigen Urlaub im Harz mit gemeinsamem Kneippbaden als das größte Abenteuer überhaupt darstellte. Mein gequältes Grinsen interessierte niemanden. Clemens warf mir zwar interessierte Blicke zu, wenn Sarah wieder ein spannendes Detail zum Besten gab, wie zum Beispiel, dass es Aggressionsabbaugruppen gab, in denen man sich auch schlug, aber niemand kam auf die Idee, es könnte mir unangenehm sein. Natürlich stand ich inzwischen über meiner chaotischen Kindheit und konnte mit dem nötigen Abstand das Lustige daran sehen, aber als Gassenhauer missbraucht zu werden, war etwas völlig anderes, denn damals fand ich das Leben mit meinen Eltern alles andere als witzig und hatte sehr mit dem Anderssein meiner Familie zu kämpfen gehabt. Leider war ich selbst nicht ganz unschuldig an der jetzigen Situation. Während der Studienzeit hatte ich bemerkt, dass es besser war, mit meiner verrückten Familie und all den seltsamen Geschichten offensiv und selbstbewusst umzugehen, und lieber lachte ich mit anderen darüber, als schräg angeschaut oder, noch schlimmer, dafür bemitleidet zu werden. Sarah glaubte seither, ich hätte alles verarbeitet, und ging deshalb auch sehr ungezwungen mit diesen Geschichten um.
    Nur Ben schien zu ahnen, dass ich innerlich litt, und versuchte das Thema zu wechseln, wofür ich

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