Flaschendrehen: Roman (German Edition)
ihm sehr dankbar an. Leider wurde nichts daraus, denn Clemens stellte nur eine Frage, und wir waren wieder mitten in meinem seltsamen Leben angekommen.
»Wie muss ich mir deine Familie heute vorstellen?«
Bevor ich antworten konnte, lachte Sarah los und getreu dem Motto »Better lose a friend than a joke« legte sie los, berichtete vom anstehenden Schamanenkurs in Berlin und was meine Eltern als Erstes in meiner neuen Wohnung gegen das schlechte Chi unternommen hatten.
»Sie wollen, dass man sie beim Vornamen anspricht, und wenn sie denken, sie seien allein, kiffen sie. Früher gab’s bei mir zu Hause immer Ärger, wenn ich nach Hause kam und nach Gras roch. Meine Eltern hatten mir sogar eine Zeit lang verboten, Gretchen zu besuchen, vor allem, als sich auch noch Rudis schlechter Ruf rumgesprochen hatte.«
»Wer ist denn Rudi?«, fragte Clemens interessiert, der wohl dachte, dass es sich bei Rudi um meinen Vater handelte.
Ben sprang ein und sagte kühl, bevor ich antworten konnte:
»Rudi ist Gretchens Bruder und mein bester Freund. Nur weil die Frauen ihm zu Füßen liegen und er nicht gerade der Bindungsfähigste ist, hat er einen schlechten Ruf. Tatsächlich ist er aber der beste Freund, und ich glaube, auch der beste Bruder, den man sich vorstellen kann. Wollen wir zur Abwechslung nicht über eure Familien sprechen, oder sind die zu langweilig?«
Ben war mein Held! Zumindest heute Abend.
»Sarah, lass uns neues Mango-Lassi machen, das ist schon alle!« Ich zog Sarah in die Küche, um endlich ungestört mit ihr sprechen zu können.
Ich musste mich beherrschen, nicht laut zu werden.
»Spinnst du eigentlich? Wie, denkst du, ist das für mich, wenn du einen Kalauer nach dem anderen über mich und meine Familie erzählst? Clemens ist mein Chef.«
Sarah sah sichtlich betreten drein und begann zu stottern.
»Ich weiß auch nicht, aber ich dachte, wir müssen Clemens was bieten, und zum Thema Indien sind deine Geschichten einfach die unterhaltsamsten, die ich kenne. Und er fand das ja auch spannend. Ich konnte nicht ahnen, dass es dir so unangenehm ist.«
Sie merkte selbst, dass sie zu weit gegangen war, und versuchte sich zu erklären:
»Gretchen, es tut mir schrecklich Leid. Keine Ahnung, aber in Clemens’ Gegenwart weiß ich irgendwie nicht mehr, was ich mache. Ich will einfach, dass ich seine Aufmerksamkeit bekomme, und wenn er mir an den Lippen klebt wie gerade eben und mich so intensiv anschaut, fühle ich mich schön, perfekt und als ob ich das einzige Wesen in dieser Atmosphäre wäre. Ich fürchte, dazu war mir gerade jedes Mittel recht.«
Jetzt oder nie! Jetzt musste ich mit der Wahrheit herausrücken!
»Du hast ihn doch erst ein paar Mal getroffen. Sarah, was würdest du denn machen, wenn ich mit Clemens zusammen wäre?«
Sie sah mich an und wurde kalkweiß. Im selben Moment bereute ich meinen Vorstoß.
»Bist du etwa … Wieso fragst du mich das? Wann? Wie? Ich versteh nicht!«
Sarahs Lippen zitterten, nie zuvor hatte ich sie so außer sich wegen eines Kerls gesehen. Sie tat mir Leid, und feige, wie ich war, brachte ich es einfach nicht übers Herz, ihr jetzt die Wahrheit zu sagen. Clemens saß unterdessen völlig ahnungslos in Sarahs indischem Essparadies.
Wie sollte sie denn ihr Gesicht wahren, wenn ich ihr jetzt alles sagte? Ich musste einen Moment abpassen, in dem wir allein waren, sie keinen Sari trug und keinen albernen roten Punkt auf der Stirn aufgemalt hatte.
»Vergiss es. Ich meine nur, wir sollten uns nicht so sehr reinsteigern, schließlich kann es gut möglich sein, dass keine von uns Clemens bekommt oder jeweils die andere, und deshalb sollten wir lieber den Ball flach halten.«
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ich solch einen Kommentar verlauten ließ, wo sonst Sarah für nüchterne und sachliche Ratschläge zuständig war.
Wortlos füllten wir die vier Gläser mit Mango-Lassi auf und gingen zurück ins Esszimmer. Dort war die Stimmung nicht viel ausgelassener. So viel stand fest: Ben und Clemens standen nicht am Beginn einer langen Männerfreundschaft, anscheinend wirkte Clemens’ »Je ne sais quoi« nur auf Frauen. Wie ich Clemens einschätzte, hatte er bestimmt versucht, ein Gespräch zu beginnen. Ben, der es Menschen deutlich zu verstehen gab, wenn er sie nicht leiden konnte, hatte Clemens’ Worte vermutlich mit einer »Komm mir nicht auf die gute Kumpel«-Tour abgewehrt. Er versuchte dann nicht einmal, freundlich oder höflich zu sein, und brachte es manchmal
Weitere Kostenlose Bücher