Flaschendrehen: Roman (German Edition)
zwischen uns? Lass uns aufhören mit dem Versteckspiel. Ich will mich nicht verstecken müssen, ich will, dass alle sehen, was zwischen uns ist, okay?« Er nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich eindringlich an, als er das sagte.
Ich nickte nur wortlos und ließ geschehen, wogegen ich sowieso nicht ankam und nicht ankommen wollte, weil ich mir in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte.
Am nächsten Morgen hätte ich nicht aufgedrehter sein können, zumindest erinnerte ich mich an keinen glücklicheren im Zusammenhang mit Liebe.
»Sag mal, was meinte Ben eigentlich damit, dass euch so viel verbindet?«
Clemens war aufgewacht und sah mich hellwach an, als ob mit dem ersten Augenaufschlag seine Batterie auf hundert wäre. Er sah auch nach einer kurzen Nacht frisch und unverbraucht aus. Das nannte man Naturschönheit. Stundenlang könnte ich ihn anschauen.
»Guten Morgen erst mal! Was sind das denn für Fragen am frühen Morgen?«, versuchte ich abzulenken, meinte es aber genau so. Wie wär’s mit, Gretchen, das war die wichtigste Nacht meines Lebens, denn ich weiß jetzt, dass du die Einzige für mich bist. Lass uns zusammen leben! Zumindest spukten mir solche Sätze im Kopf herum.
Stattdessen die Frage nach Ben. Wen interessierte denn in diesem Moment bitte Ben?
Clemens küsste mich auf die Nasenspitze – er war Profi, das merkte ich sofort, nur Amateure küssten mit ungeputzten Zähnen am Morgen danach auf den Mund.
Die männliche Venus Clemens fuhr fort.
»Na ja, ich hatte das Gefühl, als ob er ein Problem mit mir hätte, dein Ben!«
Grundsatzdiskussionen am frühen Morgen?
»Von wegen mein Ben. Ben ist ein Freund. Punkt! Er ist seit zwei Jahren mit Liv zusammen, davor hatte er immer wieder Freundinnen, einmal sogar ’ne Referendarin an unserer Schule, aber zwischen uns lief noch nie was, nicht einmal ein Kuss, es sei denn, du zählst einen freundschaftlichen Kuss auf die Stirn dazu.«
Seltsamerweise schien Clemens diese Antwort nicht zu beruhigen. Im Gegenteil, er zog die Augenbrauen hoch.
»Dann ist es ja noch viel schlimmer, als ich dachte. Das Schlimmste sind ungelebte Gefühle, die verfolgen einen am längsten.«
Er wurde mir unheimlich. Woher wusste er, dass ich mir bis vor kurzem nichts sehnlicher gewünscht hatte, als endlich Ben zu küssen, und die bohrende Frage, wie es wohl wäre und sich anfühlen würde, zu klären. Natürlich war Ben ein Grund gewesen, weshalb ich unbedingt nach Berlin gewollt hatte, auch wenn ich das niemandem gestand – nicht einmal mir selbst gestand ich es ein.
Clemens fuhr fort, mich zu verwirren.
»Glaube mir, nicht nur Frauen bemerken Zwischentöne, auch Männer kapieren so was untereinander. Ben und du habt euch einfach nicht so verhalten, wie man es von alten Freunden, die sich schon aus Schulzeiten kennen, erwarten würde.«
Es war nicht zu fassen. Da lag ich im Endorphinwahn nach einer unbeschreiblichen Nacht neben dem Ziel aller Irrungen und Wirrungen, in Form von Clemens, und was war unser Gesprächsthema? Ben!
Ich konnte nur hoffen, dass Liv, die offensichtlich ein Problem mit mir hatte, Ben genauso auf die Nerven ging und hinterfragte, wie Clemens gerade mich. Gerecht wäre es!
Positiv, wenn man denn das Wort in diesem Zusammenhang benutzen wollte, war, dass Clemens sich sehr für mein Leben interessierte, und wenn mich nicht alles täuschte, eifersüchtig auf Ben war. Eigentlich niedlich.
»Hast du Hunger?«, meinte ich elegant das Thema zu wechseln.
Clemens lachte laut los.
»Sag doch einfach, wenn du nicht darüber sprechen willst, aber ja, ich habe Hunger, und wie! Nach so einer Nacht brauche ich dringend neue Energien.« Sprach’s, sprang nackt und völlig unverklemmt ins Bad, wo er sich gut gelaunt und ungefragt meiner elektrischen Zahnbürste bediente, wie ich hören konnte. Dieser Körper machte mich allein beim Hinterherschauen wahnsinnig!
Während Clemens singend gurgelte, dachte ich, wie einfach das Leben doch sein konnte!
Ohne kompliziertes Rumgehirne, ohne Distanz-Nähe-Spielchen, sondern einfach nur leben, fühlen, loslassen und den Rausch, die Unbeschwertheit genießen. Wenn ich bisher Plattitüden wie »Liebe lässt dich fliegen« oder »Die Liebe macht alles federleicht« gehört hatte, konnte ich zwar verstehen, was damit gemeint war, aber nicht nachempfinden.
Clemens schaffte es, Seiten an mir zutage zu fördern, die ich nicht kannte, von denen ich nicht einmal geahnt hätte, dass ich sie in mir trug. Eigentlich
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