Flaschendrehen: Roman (German Edition)
war ich grüblerisch veranlagt, wenn es um Männer ging. Zudem war ich auch noch mit dem romantischen Bild vom Mr. Right der Dirty-Dancing-und-Pretty-Woman -Generation aufgewachsen, doch das hier übertraf alles, was ich mir bisher hatte vorstellen können. Hilfe!
Und plötzlich komplett ungefragt war der Richtige da. Einfach so! Wer hatte denn gesagt, dass alles im Leben kompliziert sein musste und ich nicht glücklich werden konnte? Clemens war mein Glück, und jeder sollte es sehen und mit mir teilen. Jeder? In diesem Moment schienen die Hormone aufzuhören zu wirken, denn wie sagte ich es Sarah und wie sollten Clemens und ich bitte in der Redaktion mit der neuen Situation umgehen? Ein Gehirnzellen stärkendes Frühstück musste her.
Clemens kam frisch geduscht und pfeifend in die Küche, setzte sich an den Tisch, goss sich Kaffee ein und begann Schokomüsli zu essen. Kein peinliches »Äh, das gestern war aber auch etwas schnell mit uns beiden« oder »Ja, was machen wir zwei Hübschen denn jetzt bloß, blöd, dass du mich eigentlich verklagen kannst, so als Schutzbefohlene und wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz«. Nein, hier saß ein souveräner, entspannter Mann, der mich anstrahlte und überhaupt keinen Zweifel aufkommen ließ. Das Leben war schön, die Welt gerecht, und diese kleinen Probleme am Rande würden wir auch noch in den Griff bekommen.
»Du, was sagen wir denn in der Redaktion?«, wagte ich zu fragen und hielt ungewollt gleichzeitig den Atem an.
Clemens schob sich einen Löffel Müsli in den Mund und antwortete ungerührt:
»Viele Möglichkeiten haben wir nicht. Entweder wir sagen es gleich, dann muss einer von uns gehen, denn solche Beziehungen sind ja unerwünscht, wie du weißt. Unter Kollegen vielleicht noch geduldet, aber Chef und Mitarbeiterin geht nicht, mussten wir sogar unterschreiben. Oder wir sehen uns jeder nach einem anderen Job um, und wenn wir den haben, machen wir es publik. Aber privat können wir es ja völlig offiziell machen, das ist ja kein Problem.«
Mein Herz hüpfte! Es war ihm ernst! Natürlich würde ich mich nach einem neuen Job umsehen, ich trug ja nicht so viel Verantwortung wie er, und einen neuen Job fand ich bestimmt, einen neuen Clemens sicher nicht! Außerdem, wenn erst mal ein Kind unterwegs war, würde mein Gehalt vorläufig ausfallen.
»Gute Idee. Clemens, ich muss dir was sagen. Sarah hat sich in dich verliebt, und zwar ziemlich heftig. Ich habe es bisher nicht übers Herz gebracht, ihr von uns zu erzählen, aber ich denke, da komme ich jetzt nicht mehr drumrum.«
Er wirkte nicht sehr erstaunt.
»Ehrlich gesagt, dachte ich mir so was schon. Wie sie sich ins Zeug gelegt hat, nur für ein indisches Essen … Dann bring es ihr aber schonend bei, ich mag Sarah nämlich sehr. Tolles Mädchen!«
Wie er das sagte, versetzte es mir einen Stich. War ich noch zu retten? Ich hatte Clemens bekommen, und trotzdem war ich eifersüchtig auf meine Sarah, die mich durch alle naturwissenschaftlichen Fächer im Abi gepaukt, mich immer aufgebaut, wenn Ben oder andere Schwachmaten mir den letzten Nerv geraubt hatten, und mir alles, was pragmatisch und normal war, beigebracht hatte, während meine Eltern wieder mal dem Nirwana entgegenmeditierten.
Was hatten wir schon alles gemeinsam durchgestanden, leider würde das mit Clemens eine Premiere.
»Was denkst du denn? Sarah ist meine beste Freundin! Natürlich sage ich ihr das schonend. Wollen wir los? Meinst du, es fällt auf, wenn wir gemeinsam im Büro erscheinen?«
Mit einer Handbewegung wischte Clemens meine Bedenken weg. Wenn er etwas nicht war, dann ängstlich!
Im Treppenhaus trafen wir zufällig Leila, die natürlich sehr interessiert schaute und mir bedeutungsvolle Blicke zuwarf. Als Clemens gerade zur Seite blickte, streckte sie sogar den Daumen in die Höhe. Clemens war einfach bezaubernd zu Leila, und sie war hingerissen, so gut kannte ich sie inzwischen. Nichts wie weg hier!
»Wir telefonieren!«, rief ich ihr zu und schob Clemens, der einen Scherz hinterherrief, zur Eingangstür.
So viel hatte ich verstanden. Clemens war Allgemeingut. Der gehörte einem nicht allein. Mir blieb nur übrig, mir eine dicke Haut anzulegen. Vielleicht war das der Grund, weshalb zu schöne Frauen immer ein Problem hatten, Partner zu finden oder sie zu halten, denn mit ständiger Konkurrenz zu leben, tat sich vermutlich niemand gern an, außer mir ab heute.
An meinem alten Käfer angelangt, traute ich meinen Augen kaum.
Weitere Kostenlose Bücher