Flaschendrehen: Roman (German Edition)
und meinte, du sollst sie anrufen. Es ginge um den Besuch am Wochenende.«
Mist, meine Eltern! Die hatte ich vor lauter Aufregung komplett vergessen.
Eigentlich passte mir ihr Besuch gerade jetzt überhaupt nicht in den Kram. Ich wollte mein erstes Liebeswochenende mit Clemens verbringen. Wenn jemand für so etwas Verständnis hatte, dann meine Eltern, aber genau das war ja das Schlimme. Mir war es mehr als peinlich, das auch nur anzudeuten, es schien, als ob ich alle Hemmungsgene abbekommen hatte, Rudi hingegen nicht einmal das Wort Hemmung buchstabieren konnte.
»Du Gretchen, findest du mich eigentlich hübsch?«
Michis Frage ließ meine Wochenendpläne abrupt abreißen. Sie hatte einen Taschenspiegel hervorgezogen und zog sich die Lippen nach, zum Glück nur mit Gloss und nicht dem knallroten Lippenstift, den sie am Anfang ihrer neuen Make-up-Karriere verwendet hatte und der sie wie eine verirrte Professionelle hatte aussehen lassen.
»Klar, bist du hübsch, wieso fragst du?«
Sie stand auf und schloss die Tür.
»Weil ich zufällig gehört habe, wie Diane über mich gesprochen hat, und das war ziemlich unschön.« Sie sah mich unsicher an.
Typisch Diane, als sensible Naturkatastrophe, die sie war, hatte sie bestimmt wieder über Michi hergezogen, laut genug, damit sie es auch hören konnte.
»Du kennst doch Diane, die findet niemanden außer sich selbst toll. Nimm das bloß nicht persönlich. Was hat sie denn genau gesagt?«
Michi zögerte, dann flüsterte sie so leise, dass ich angestrengt zu lauschen begann.
»Ich hab dir doch von meinen Verdauungsproblemen erzählt. Also saß ich ziemlich lange auf dem Klo. Diane kam rein, bemerkte mich nicht und begann zu telefonieren. Sie fing an über uns alle, die hier arbeiten, herzuziehen.
Es ging dabei die ganze Zeit um Clemens, zumindest denke ich, das rausgehört zu haben. Über mich sagte sie, ich sei nicht mal würdig, überhaupt Konkurrenz genannt zu werden, so unscheinbar sei ich. Er, ich nehme an, sie sprach von Clemens, würde sich nach einem freien Wochenende bestimmt nicht einmal erinnern können, wer ich sei, so grau und durchsichtig sei ich. Zwar würde ich seit kurzem versuchen, auf peinliche Weise meine Steckenbeinchen zu präsentieren, aber das sei eher peinlich als sexy. Die hat echt Steckenbeinchen gesagt!«
Ich wunderte mich, dass Michi während ihres geflüsterten Berichts nicht in Tränen ausgebrochen war. Diane war genauso fies und berechnend, wie sie sich gab. Meine Neugierde war geweckt.
»Was hat sie denn über uns andere gesagt?«
Michi riss ihre großen Kinderaugen auf.
»Willst du das wirklich wissen?«
Natürlich wollte ich. Eine Einschätzung seitens Dianes interessierte mich brennend.
Ich nickte heftig.
»Na gut. Über Marion sagte sie, die sei mit ihrem Freund erst so kurz zusammen, die könnte man ausschließen, außerdem würde sie zwar passabel aussehen, aber sie habe einen viel zu fetten Arsch und Bauarbeiterwaden.«
Jetzt war ich aber wirklich gespannt, was die gute Dreckschleuder über mich gesagt hatte, wenn sie schon Marion, die wirklich außer Konkurrenz lief und weder einen zu dicken Hintern noch dicke Waden hatte, so niedermachte.
Michi räusperte sich und fuhr fort.
»Ja, über dich sprach sie am längsten. Sie meinte, wenn jemand schon Gretchen heißen würde … Und du würdest zwar niedlich aussehen und könntest bestimmt auf ’nem Dorfrummel viele Tölpel abbekommen, aber Eleganz könntest du noch nicht mal buchstabieren. Außerdem seiest du ein Hippiekind von so durchgeknallten achtundsechziger Eltern, wie deine ebenfalls total unsympathische Freundin Sarah durchblicken ließ. Überhaupt seiest du dreist, und man würde sich wundern, woher du dein Selbstvertrauen nimmst, ihm, ich nehme an, Clemens war gemeint, immer so zweideutige Blicke zuzuwerfen. Da wäre jeder Backfisch cooler dagegen. Ach, besonders übel nimmt sie dir, dass du vor kurzem Sarah mitgebracht hast. Denn jetzt kommt’s: Vor Sarah hat sie, glaube ich, Schiss oder zumindest Respekt. Ärztin und nicht gerade schreckhaft sei die, zwar keine Schönheit, aber bei der müsse man aufpassen, die sei noch dreister als du und habe sich demonstrativ neben ihn gesetzt und an ihm rumgefingert. Außerdem sei sie wohl die Einzige, die gesellschaftlich zu ihm passen könnte.«
Warum wunderten mich Dianes Kommentare nicht? Genau so hatte ich sie eingeschätzt. Anscheinend waren das noch nicht alle Lästerattacken gewesen, denn Michi holte Luft und
Weitere Kostenlose Bücher