Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Mädcheninternat. Wieso wurden hier eigentlich fast nur Frauen eingestellt? Das musste ich Clemens heute Abend unbedingt fragen.
Aber zuerst rief ich meine Mutter zurück, der ich meinen Namen zu verdanken hatte. Eigentlich mochte ich meinen Namen, auch wenn er mit drei niedlich, mit dreizehn kess, mit dreiundzwanzig lustig und mit dreiunddreißig langsam peinlich wurde. Aber immerhin wurde ich nie verwechselt, wenn man meinen Namen erst mal kannte.
Meine Mutter klang aufgeregt. Was war denn jetzt schon wieder passiert? Eine weitere bedrohte Tierart ausgestorben oder eine Saite ihrer Gitarre gerissen, mit der sie bei Friedensmärschen die Gesänge ihrer Mitstreiterinnen begleitete?
»Deine Großeltern sind am Wochenende auch in Berlin und wollen dich sehen. Sie bestehen darauf, dass wir alle gemeinsam essen gehen, schließlich sehen sie dich und Rudi so selten. Ich habe versucht, es abzubiegen, aber da kommen wir nicht drumrum.«
Oh nein! Ein Zusammentreffen meiner Eltern und Großeltern durfte man sich ungefähr so gemütlich vorstellen wie ein gemeinsames Abendessen von Bushs schlimmsten Right-Wing-Freunden, Michael Moore und Vertretern der Friedensbewegung. Rudi und ich versuchten stets, uns einen Spaß aus dieser Art Familientreffen zu machen, und vertraten abwechselnd komplett idiotische Positionen, wie zum Beispiel »Es müsse im Grundgesetz das Recht auf einen Porsche ab Volljährigkeit für jeden deutschen Bundesbürger verankert werden«, womit wir zeitweise eine Verbrüderung meiner Eltern und Großeltern erreichten, die leider nie lange anhielt, denn schnell ging die Diskussion zu Fragestellungen über wie »Wieso braucht man überhaupt Autos, geschweige denn einen Porsche?« und Ausrufe wie »Freie Fahrt für freie Bürger« oder »Alles nur Sozialneid!« …
Kurzum, ich freute mich und konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als dieses Wochenende wieder eines dieser Essen hinter mich zu bringen, anstatt mit Clemens romantisch bei Chez Maurice und Kerzenschein zu dinieren. Denn eines stand fest, wenn ich Clemens noch eine Weile behalten wollte, durfte er auf keinen Fall Zeuge eines solchen Familientreffens werden, am Ende fragte er sich zu Recht, ob die Macken vererbbar waren.
»Fragst du Sarah und Ben, ob sie nicht auch Lust haben mitzukommen, wir haben die beiden so lange nicht mehr gesehen und würden uns sehr freuen.«
Stimmt, ich vergaß, vor Publikum ließ sich noch besser streiten, und dann hatte man zwei Unbeteiligte mehr zur Verfügung, die man versuchen konnte, in die Diskussion einzubeziehen oder auf seine Seite zu ziehen. Zu gern würde ich normalerweise beide fragen, momentan herrschte in unserer Freundschaft allerdings eher ein Ausnahmezustand. Ben hatte ich seit dem denkwürdigen indischen Essen bei Sarah nicht mehr gesehen oder gesprochen, und Sarah wusste immer noch nichts von mir und Clemens. Apropos Clemens: Wie er wohl reagieren würde, wenn unser erstes gemeinsames Liebeswochenende für ein Familienduell geopfert wurde?
Zuerst brachte ich hinter mich, was ich schon lange hätte tun sollen. Ich rief Sarah an, um endlich eine Aussprache zu vereinbaren.
Das Familientreffen würde sich gut mit meiner Beichte Sarah gegenüber verbinden lassen, bloß hatte ich vergessen, dass Sarah nicht in Berlin war.
»Ich würde ja gerne kommen, eure Familientreffen sind legendär, aber ich bin doch jetzt zwei Wochen lang unterwegs. Hab ich dir aber auch gesagt. Erst bin ich auf der Fortbildung in München, und dann hänge ich eine Woche Italien dran und besuche Dani. Ist ja nicht weit von München.«
Was war ich nur für eine treulose Freundin! Vor lauter Clemens und Zickenkrieg im Job hatte ich wirklich vergessen, dass Sarah ab morgen erst mal verreist war. Einerseits erleichtert, anderseits mit noch schlechterem Gewissen wünschte ich ihr viel Spaß, nicht ohne anzukündigen, dass wir dringend sprechen mussten, wenn sie wieder zurück war.
»Worum geht’s denn? Ist was passiert?«, fragte sie besorgt.
»Das will ich dir nicht am Telefon sagen, lass uns sprechen, wenn du wieder da bist«, bog ich schnell ab.
»Aber mit dir ist nichts Schlimmes, oder? Es geht dir doch gut?«
Jetzt fühlte ich mich noch schlechter. Sarah dachte sofort an mich und wie es mir ging, und ich würde ihr wehtun müssen, und das, obwohl ich mich nur verliebt hatte.
»Huhu, Gretchen, wie schön, dich zu sehen. Ich dachte, ich überrasche dich einfach mal bei der Arbeit!«
Es war Freitagnachmittag. Vor mir
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