Flaschendrehen: Roman (German Edition)
ausgelacht worden, Sarah war – vor Clemens – in dieser Hinsicht immer um einiges pragmatischer gewesen und hatte die Erwartungen nie so hoch angesetzt wie ich. Ihr waren andere Dinge wichtig, dass man sich vernünftig unterhalten konnte und gemeinsam zum Klettern ging zum Beispiel. Und Ben? Ben hielt ich für einen Romantiker, auch wenn ich keine Ahnung hatte, weshalb. Liv gegenüber verhielt er sich, soweit ich das beurteilen konnte, nicht sehr romantisch. Andererseits, wenn ich an seine Platten- und CD -Sammlung dachte, die Bücher, die er las, oder die Filme, die er mochte, er bevorzugte meist melancholische Liebesthemen: Es ging häufig um eine unerfüllte Liebe oder eine Liebe, die widrige Umstände unmöglich machte.
Meine Form der Romantik war zugegebenermaßen nicht so subtil wie Bens. Ja, ich glaubte an den einzig wahren Mr. Right oder Mr. Big, wie man ihn seit Sex and the City nannte, und ich wollte Liebesbriefe, spontane Wochenendausflüge, Candle-Light-Dinner und selbst geschriebene Gedichte bekommen.
Seelenverwandter war kein Wort, bei dem ich kichern musste, im Vergleich zu meinem abgebrühten Freundeskreis, von dem mich die meisten »sooo niedlich« fanden, wenn ich wieder einmal heulend aus einem Hollywoodstreifen kam, weil sich die Liebenden bekommen hatten.
Meine Gedankensprünge zu Clemens im Allgemeinen und Romantik im Besonderen wurden jäh durch die Türglocke unterbrochen. Clemens!
Jubelnd fiel ich ihm in die Arme. Es tat so gut, ihn zu spüren, zu riechen und endlich wieder küssen zu können. Clemens schien mich auch vermisst zu haben. Er wollte mich gar nicht mehr loslassen, lachte, küsste mich und lachte wieder. Mein Herz tanzte vor Freude, mein Magen vor Aufregung. Ich würde bestimmt keinen Bissen herunterbekommen, aber es war mir gleichgültig, mir reichte es auch einfach nur, Clemens über den Tellerrand hinweg anzuschauen. Mir war vollkommen bewusst, dass ich ihm verfallen und gegen sein Charisma machtlos war, gleichzeitig spürte ich, dass mich diese Liebe in gewisser Weise unverwundbar machte, mir Kraft gab und mir jede Angst nahm.
»Was riecht hier so gut?«, fragte Clemens, ging geradewegs in die Küche und sah in die Töpfe. Ungeniert nahm er sich Besteck, probierte alles und gab zufriedene Laute von sich.
»Kochen kannst du also auch? Gibt es etwas, das du nicht kannst, kleines süßes, perfektes Gretchen?«
Wie zärtlich er mich anschaute. Wenn es jemanden auf dieser Welt gab, der glücklicher war als ich, sollte er jetzt aufstehen und sprechen oder für immer schweigen.
Wir setzten uns an den Tisch. Clemens aß nur mit einer Hand, mit der anderen strich er mir zärtlich über den Handrücken oder über die Wange. Ich musste ihm haarklein von meinem Wochenende erzählen, er lachte an den richtigen Stellen und fand meine neu gewonnene Autorität meiner Familie gegenüber sehr gut. Natürlich konnte ich mir nicht verkneifen, von meinem unfreiwilligen Zusammentreffen mit Diane zu erzählen, meine Patience bei Birgit der Wahrsagerin verschwieg ich lieber.
»Stell dir vor, da trifft sich meine Mutter mit dieser fiesen Schlange und sagt mir nichts, außer dass Diane unbedingt Zuwendung braucht, ausgerechnet Diane, die sich immer so ekelhaft verhält, dass sie sich nicht wundern muss.«
Clemens sah mich ernst an. Was war denn jetzt los? Hatte ich was Falsches gesagt?
Er nahm meine Hände in seine und sah mir tief in die Augen.
»Gretchen, Goldstück, du bist mein Ein und Alles, aber wir werden jetzt und hier einen Pakt schließen, dass wir niemals über Kollegen sprechen werden, verstanden? Ich bin nach wie vor Chef der gesamten Abteilung und möchte dich nicht bevorzugt behandeln, außer im Bett.« Er grinste verwegen.
Ob es mir passte oder nicht, er hatte nicht nur Recht, sondern auch noch einen guten Charakter. Wo kam er bloß her? Wem hatte ich dieses Prachtexemplar nur zu verdanken? Höchste Zeit, endlich mal nach seiner Familie zu fragen.
»Weißt du, was ich dich schon lange fragen wollte?«, setzte ich an.
»Ob ich Krampfadern habe? Das kann ich mit bestem Gewissen verneinen«, scherzte er.
Es fiel mir schwer, mit Clemens ernst zu sein, ihn umgab immer diese Leichtigkeit, die das Leben und alles, was damit zu tun hatte, so einfach und unbedeutend erscheinen ließ.
»Mann, ich will wirklich was wissen. Wie ist deine Familie so, hast du Geschwister, kurz: Wo kommst du eigentlich her?«
Clemens nahm einen Löffel Panna cotta, bevor er antwortete.
»Dann
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