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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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schlagkräftige Reproduktion seines Vaters.
    Wir mussten uns nicht auf dem Rangierbahnhof verstecken. Zusammen mit Dutzenden anderen warteten Julio und Perdita Romano bereits mit ihrem Lastwagen, und als ich ihnen die handgeschriebene Mitteilung von Don Emilio Gabriel Fernández y Figueroa zeigte, erlaubten sie uns, uns im Führerhaus ihres Peterbilt zu verstecken, während oben die Polizeihubschrauber kreisten und hinter uns die Stadt brannte.
    Erst am nächsten Tag begriff ich, was für ein Glück Val und ich hatten. Die Romanos waren bereits bezahlt worden. Das wenige mir verbliebene Geld trug ich bar in meiner Tasche mit mir. Wären die Romanos und die anderen Trucker keine ehrenhaften Leute gewesen, hätten sie uns an diesem schrecklichen Freitagabend
einfach zurücklassen oder uns auf dem Weg aus der Stadt töten und die Leichen verschwinden lassen können. Niemand hätte etwas davon bemerkt.
    Trotzdem war es nicht leicht. Wegen des missglückten Anschlags auf Berater Omura und der einsetzenden Gefechte zwischen Reconquistatruppen und der Stadt, hatte die Polizei Straßensperren vor der Stelle errichtet, wo die 15 ihren langen Anstieg nach Victorville beginnt. Julio Romano setzte alles aufs Spiel – nicht nur den teuren Sattelschlepper, sondern seine und die Freiheit seiner Frau –, als er mich und Val zur Gepäckseite des Peterbilt führte und uns die Geheimfächer in den Treibstofftanks zeigte, in denen wir uns zu beiden Seiten des Lastwagens verstecken konnten.
    Dort hätte die Berührung eines Schalters genügt, um das Flüssigerdgas um uns herum in die Geheimkammern einzuleiten, und die Romanos hätten eine Sorge weniger gehabt. Nur zwei Tote, die in der Wüste abgeworfen werden konnten. Keine Gefahr für sie und keine Minderung ihres Verdienstes.
    Aber sie sind ehrenhaft. Nachdem die von Emilio bereitgestellten Konvoiunterlagen geprüft und die Straßensperren passiert waren, befreiten uns Julio und Perdita aus unserem Versteck. Wir konnten auf die hohen Notsitze klettern und mit dem Konvoi Richtung Barstow und Wüste weiterrollen.
    Wenn Julio oder Perdita hinten in ihrem Ruheraum vor ihrem Satellitenfernseher saß, durften Val und ich mit zuschauen. Wir sahen das brennende Los Angeles.
    Die Kämpfe waren schrecklicher, als es sich der Staat Kalifornien auf der einen Seite und die Reconquista von Nuevo Mexico mit ihren Armeen, Kartellen und Banden auf der anderen vorgestellt hatten. Es kam zu Unruhen. Die Polizei war machtlos und vor allem damit beschäftigt, nicht zwischen die Fronten zu geraten. Gouverneur Lohan versprach mehr Nationalgardisten
zur Verstärkung der Truppen, die überall in der Stadt überrannt wurden, aber die wenigsten Kommentatoren waren der Meinung, dass man damit etwas ausrichten konnte. Als der Gouverneur damit drohte, den Präsidenten um die Entsendung regulärer Bundestruppen zu bitten, lachte Julio auf. Schon seit Jahren ist bekannt, dass das praktisch eine leere Drohung ist; unsere Bundestruppen kämpfen in China und anderswo für fremde Herren.
    Aber auch wenn Stadt und Bundesstaat die Stärke der Reconquistaverbände völlig unterschätzt hatten – sie wurden völlig überrumpelt von den Mengen an Waffen und Gerät, die nach Norden geschafft worden waren (einiges davon hatte ich unter Tarnnetzen in dem großen Friedhof gegenüber von Emilios Lager gesehen) –, wurden die Kräfte Emilios und seiner Latinoverbündeten doch ihrerseits überrascht von den Aufständen der Schwarzen im Süden der Stadt, der Asiaten in den westlichen Vororten, von den Söldnern im Dienst der Reichen in Beverly Hills, Bel Air, den Hügeln um den Mulholland Drive und anderswo sowie von mehreren weiteren Gruppen, die weder mit dem Staat Kalifornien noch mit den Streitkräften von Nuevo Mexico verbündet waren. Aus diesem Grund verwandelte sich die Auseinandersetzung zwischen Reconquista und Nationalgarde um die Zukunft von Los Angeles im Handumdrehen in ein wildes Getümmel mit zwanzig und mehr Parteien. Los Angeles ist dabei, in einen Hobbes’schen Naturzustand zurückzufallen.
    Als ich dies gegenüber Julio und Perdita erwähnte, stimmten sie mir sofort zu. Beide haben Leviathan von Thomas Hobbes gelesen. So viel zu meinen Vorurteilen über Lastwagenfahrer und ihren Bildungsstand.
    Apropos Bildung – auch Val lernt bei dieser Konvoifahrt allerhand Neues.
    Nachdem er in den ersten vierundzwanzig Stunden fast katatonisch
war – mehr darüber später –, konnte ich beobachten, dass Val seiner

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